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Yuki Okumura
8.3. – 18.5.2025

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Yuki Okumura, Wilhelm as Hauptraum, 2024, Videostill aus dem aktuellen Produktionsprozess

Liebe Mitglieder des Reinigungs-, Kunstvemittlungs-, Wach- und Ausstellungsaufbaupersonals der Secession:*

 

Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Mein Name ist Yuki Okumura und ich werde eine Einzelausstellung im Hauptraum der Secession zeigen, die am Abend des 7. März 2025 eröffnen wird. Mit diesem Brief möchte ich Sie einladen, sowohl an einem von mir geleiteten Workshop als auch an einer Gruppenausstellung, die ich im Rahmen meiner Einzelausstellung organisieren werde, teilzunehmen.

 

Ich finde es wunderbar, wenn ein Kunstwerk zeigt, wie einzigartig – und nicht wie besonders – der Mensch ist, der es geschaffen hat. Anders gesagt, ich glaube nicht, dass man ein Genie sein muss, um ein großartiges Werk zu schaffen, man muss einfach nur ein Mensch sein, denn jede*r ist sowieso anders als jede*r andere. Für mich ist jeder Mensch, auch ich, wie eine Linse mit ihrer eigenen Verzerrung. Es macht mir viel Freude, durch das Werk mehr über die Einzigartigkeit jeder Linse zu erfahren: über ihre Krümmung und darüber, wie die Welt sich in ihr widerspiegelt und bricht.

 

Aber es ist schwierig, die eigene Einzigartigkeit bewusst darzustellen. Man kann sie nur sichtbar machen, indem man den eigenen Körper für sich und frei von den Fesseln der Vernunft handeln lässt: einfach entspannen, an gar nichts denken und spontan auf die Welt reagieren, sodass die eigene Persönlichkeit von selbst ihr wahres und einzigartiges Sein zum Ausdruck bringt. Wenn man das schafft, offenbart das entstandene Werk nicht nur ein neues Gesicht des eigenen Ichs, sondern auch ein neuer Aspekt der Welt wird durch diese einzigartige Linse sichtbar. 

 

Aber wie können wir, ganz praktisch gesprochen, längere Zeit an nichts denken, um so ein Werk zu schaffen? Ich glaube, der wirksamste und amüsanteste Weg, um dies zu realisieren, ist, was ich die ‚konzeptuell/performative‘ Methode nenne, ein Verfahren, das jede*r ohne Vorbereitung anwenden kann. Dabei vollführt man eine bestimmte Handlung, indem man ein einfaches Regelwerk befolgt, das man selbst aufgestellt hat, aber so, dass das Ergebnis immer unvorhersagbar ist, weil es nur durch die zufälligen Interaktionen zwischen dem Selbst und der Welt bestimmt wird. Es wurde in den 1960ern in diversen Disziplinen entwickelt, in der Konzeptkunst, im Fluxus, im postmodernen Tanz usw.

 

Das mag merkwürdig klingen, aber meine Überzeugung, dass dieses Verfahren funktioniert, hat sich in den Workshops, die ich in Europa und Japan geleitet habe, bestätigt: Unabhängig von ihrem Alter, Hintergrund und Geschlecht schufen die Teilnehmer*innen erstaunliche Werke, die ihre Einzigartigkeit deutlich machen, indem sie sich die Methode auf ihre je eigene Weise zu eigen machten. Und vor allem schienen alle ihren Spaß dabei zu haben – wahrscheinlich, weil man ein Werk entstehen lässt, einfach indem man ein Spiel spielt, das man selbst erfindet.

 

Über die Jahrzehnte hat der Hauptraum als Spielplatz für Künstler*innen gedient. Aber ich interessiere mich weniger für die, die sich vorübergehend für ihre Ausstellungen in ihm aufhalten, als für die, die regelmäßig in und für diesen Raum arbeiten wie Sie. Welche Einzelheiten des Raums sind Ihnen aufgefallen und wie würden Sie auf konzeptuell/performative Weise auf sie reagieren? Hinter meinem Interesse steht mein Wunsch, Sie persönlich ‚kennenzulernen‘ und Sie zugleich dazu zu bringen, neue Aspekte an der Person, die Sie sind, zu entdecken, beides durch Ihr Werk.

 

Und vor allem möchte ich Sie um Hilfe bitten. Meine Ausstellung erkundet diesen historischen White Cube, der heute Hauptraum heißt, nicht als von der Welt abgesonderte neutrale Zone, sondern als offenen Teil der Welt mit seinem eigenen Leben. Dafür arbeite ich an zwei filmbasierten Projekten – Wilhelm as Hauptraum ('Wilhelm als Hauptraum') und Secession’s Hive Mind(s) ('Bienenstockgeist(er) der Secession'), die sich mit individuellen Erinnerungen bzw. kollektiven Antizipationen befassen, die diesen besonderen Raum ausfüllen. Aber auch diverse physische Aspekte des Raums sollten noch bearbeitet werden und das Problem ist, dass er riesig und meine eigene Krümmung begrenzt ist: Eine größere Vielfalt der Widerspiegelungen und Brechungen wird gebraucht.

 

Wenn jede*r von uns einfach ganz sie*er selbst ist, werden die Perspektiven und Standpunkte weitaus mannigfaltiger und die aus diesem Ort entwickelten Handlungen weitaus vielfältiger sein. Durch uns als einzigartige Linsen werden dann sicherlich viele bisher unbekannte Gesichter des Hauptraums offenbar werden.

 

Lassen Sie uns alle spielen – einzeln, aber gemeinsam, in einem gemeinsamen Raum und einer gemeinsamen Zeit.

Yuki Okumura

 

 

Dieser Text entspricht dem tatsächlichen Brief des Künstlers an die Adressat*innen.




Künstler*innen
Yuki Okumura

geboren 1978 in Aomori, Japan, lebt und arbeitet hauptsächlich in der mitteleuropäischen Zeitzone.

Programmiert vom Vorstand der Secession

Kuratiert von
Bettina Spörr

Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07