Lutz Bacher
More Than This
12.2. – 3.4.2016
In ihrer mehr als 40-jährigen Laufbahn hat Lutz Bacher ein höchst heterogenes Werk geschaffen, das sich jeder Kategorisierung entzieht. Die US-amerikanische Künstlerin, die seit Beginn ihrer Karriere unter dem männlichen Pseudonym agiert, arbeitet konzeptuell in verschiedenen Medien. In Fotografien, skulpturalen Arrangements, Videos, Soundarbeiten und raumgreifenden Installationen nutzt Bacher Bilder und Gegenstände, die im kollektiven Gedächtnis verankert und daher leicht abrufbar sind: zum Beispiel Pressefotos von Personen des öffentlichen Lebens, die durch mehrfaches Kopieren ein ästhetisches Eigenleben entwickeln, Fundstücke aus Altwarenläden, die sie als objets trouvés und Secondhand-Readymades in ihre Installationen integriert, oder stark abgenutzte Baseball-Bälle, Murmeln und Sand. Für ihre Appropriationen bedient sich die Künstlerin alltags- und popkultureller Quellen wie Groschenromane, Pornohefte, Ratgeberliteratur und Paparazzi-Fotos; gelegentlich stellt sie kunsthistorische Referenzen her. Nicht nur der menschliche Körper, Sexualität, Macht und Gewalt spielen für ihre Arbeit eine zentrale Rolle, ein wesentliches Interesse gilt auch unserem gegenwärtigen Daseinszustand und der bewussten Vermischung von privaten und öffentlichen Bereichen.
Die großformatigen Arbeiten ihrer Serie Jokes (1987–88) verknüpfen Vergrößerungen von Schwarzweiß-Fotos von PolitikerInnen und Prominenten der 1970er-Jahre mit geschmacklosen Einzeilern, die wie böse Kommentare ins Bild gesetzt werden. Die schmuddelige Erscheinung der Fotos – Lutz Bacher beschmierte sie mit Dreck und fuhr mit ihrem Auto drüber – unterstreicht den kritischen Unterton der Arbeit. Mit Closed Circuit (1997–2000) wiederum, einer vierzigminütigen Animation aus Videostills, schuf die Künstlerin ein Porträt ihrer langjährigen Galeristin Pat Hearn: Knapp ein Jahr lang zeichnete eine über dem Schreibtisch der Galeristin angebrachte Überwachungskamera alles auf, was sie dort tat – telefonieren, arbeiten, nachdenken, schreiben usw. Bei Hearn war kurz zuvor Krebs diagnostiziert worden und so dokumentiert Closed Circuit nicht nur den Galerienalltag, sondern auch eines der letzten Lebensjahre der Galeristin.
Abstraktion, Fragmentierung und das Schaffen neuer Ordnungen von Dingen dienen der Künstlerin als Mittel, um Fragen nach der Normierung gesellschaftlicher Identitätsmodelle und Lebensentwürfe aufzuwerfen. Diesen Formen der Normierung stellt Lutz Bacher Aufschüttungen von Sand, Schlacke oder von tausenden losen Murmeln im Ausstellungsraum gegenüber und erzeugt damit, durchaus metaphorisch zu lesen, eine räumlich labile Situation – eine Situation, die sich jederzeit verändern kann. Für ihre Installation The Book of Sand (2012) ließ sie in die New Yorker Galerie Alex Zachary Peter Currie 25 Tonnen Sand schütten, der nicht nur den Boden im Erdgeschoß komplett bedeckte, sondern sich auch noch über den Innenhof ausbreitete. Anders als in Walter De Marias permanenter Installation in SoHo, The New York Earth Room (1977), konnte und sollte man hier die Arbeit betreten. Dadurch gestaltete sich die Oberfläche immer wieder neu, ebenso wie das hereinströmende Tageslicht die Installation stets anders erscheinen ließ.
More Than This (2016), Lutz Bachers neue Installation im Hauptraum der Secession, besteht aus einer losen Ansammlung gefundener Objekte: Eine Anzahl großer, mit Staub und Dreck überzogener Rohrverbindungsstücke aus Industriekunststoff ist über den Boden verstreut, während sich ein Fries bruchstückhaft über die Wände zieht, nicht ohne leichte Diskontinuitäten. Die schwarzweiße Malerei zeigt stilisierte kahle Äste und Zweige. Wie die am Boden verteilten Rohrstücke weisen auch die Leinwände Gebrauchsspuren auf, wie unerfindliche Schnitte und ausgefranste Löcher, der ursprüngliche Verwendungszweck dieser scheinbar kaputten Mittel bleibt jedoch im Verborgenen. In der neuen Umgebung können sie freilich eine andere Bedeutung gewinnen. Die BesucherInnen sind im Ausstellungsraum von Vogelgezwitscher umhüllt und in ein Licht getaucht, das sich beinahe unmerklich, aber stetig verändert: zwei subtile Interventionen, die nichtsdestotrotz die Wahrnehmung der Situation beeinflussen.
Schließlich wird die Installation mit I’m Yours (2015) im Friesraum fortgesetzt: Die Videoarbeit zeigt einen Mann, der inmitten des hektischen Getriebes eines Bahnhofs Klavier spielt. Er scheint paradoxerweise zugleich an- und abwesend, da er völlig in seine eigene Tätigkeit versunken ist und unbeirrbar fortfährt, Beethovens Mondscheinsonate zu spielen, ohne seine Umgebung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Die Betrachtenden werden so zu Zeugen einer intimen Performance im öffentlichen Raum.
Zur Ausstellung erscheint the Gift, ein von Lutz Bacher gestaltetes Künstlerbuch.
lebte und arbeitete in New York, 2019 ist sie dort verstorben.