Ed Ruscha
Double Americanisms
16.11.2018 – 20.1.2019
Ed Ruscha schuf mit seinen Werken, die konzeptuelle Fotografie, Malerei, Zeichnung, Künstlerbücher, Druckgrafik und Film umfassen, ein einzigartiges künstlerisches Vokabular, das seit mehr als 60 Jahren die Entwicklung des amerikanischen Westens und insbesondere von Los Angeles aufzeigt. Er gilt als nüchterner und unvoreingenommener Zeitzeuge, als Chronist, gleichzeitig direkt und enigmatisch, mit einem feinen Sensorium für Wortwitz und Situationskomik. Die Konzeption seiner jüngsten Ausstellung präsentiert Ruscha nicht nur als scharfsinnigen Beobachter, sondern auch als Meister der Anspielung und als virtuosen und humorvollen Erzähler. In Double Americanisms zeigt er überwiegend neueste Arbeiten und überrascht mit einem revisionistischen Blick auf sein eigenes Oeuvre. Zu sehen sind insgesamt 57 Werke – neben konzeptuellen Digitaldrucken und einer umfassenden Serie von gemalten Spruchbildern auch von Hand bearbeitete Buchobjekte und Künstlerbücher in Vitrinen.
Sprache in Form von Texten oder einzelnen Worten fand früh Eingang in die Bildwelt Ruschas und seit den 1960er-Jahren entwickelte er in seiner Malerei ein zunehmend komplexes Verhältnis zwischen Bild und Text. Er beschreibt seine Kunstproduktion als Reaktion, als beinahe unbewussten Reflex, der sehr oft durch zufällig aufgeschnappte Worte ausgelöst wird, und die Werkauswahl zeigt deutlich, welch großen Stellenwert er Sprache in seiner Kunst einräumt. Der überwiegende Teil der ausgestellten Arbeiten handelt von Sprache, sei das in Form von gemalten Worten und Sätzen oder in Form der zahlreichen in Vitrinen ausgestellten Bücher.
In der Secession zeigt Ruscha erstmals einen neuen Werkzyklus aus Spruchbildern, die von seiner Jugend in Oklahoma City und dem Slang der Stadt inspiriert sind: Auf gebrauchten Trommelfellen aus Pergament sind Sätze wie „I Ain’t Telling You No Lie“ oder „I Can’t Find My Keys Nowhere“ gemalt, die sich allesamt durch den Gebrauch der doppelten Verneinungen auszeichnen. Sätze wie diese erinnern ihn an die Art und Weise, wie die Menschen in seinem Umfeld gesprochen haben, und anstatt sich vom Gebrauch des inkorrekten Englisch zu distanzieren, greift er es auf und verwandelt es in künstlerische Objekte. Ruscha, der in seinem Werk gern die Vergänglichkeit von Zeit thematisiert, betont in dieser Rückbesinnung auf seine eigenen Ursprünge gleichzeitig die Kontinuität zwischen seinem jugendlichen und seinem gegenwärtigen Ich, die sich in der Selbsteinschätzung des Künstlers sehr ähnlich geblieben sind.
Eine von Ruschas konstanten Inspirationsquellen seit Jahrzehnten ist Film – in Los Angeles gewissermaßen Synonym für Hollywood und der Hollywood-Schriftzug über der Stadt seine Bild gewordene Ikone. Der Künstler hat dieses Motiv in unzähligen Werken verewigt: Als Paravent-Paar empfängt es nun die BesucherInnen prominent im Eingangsbereich der Ausstellung. Die digitale Reproduktion in zweifacher Ausführung, seitenrichtig und gespiegelt, weist auf gleich zwei zentrale Motive der Ausstellung voraus: die selbstreflexive Revision eigener Arbeiten und die Doppelung durch Spiegelung, die auch im Titel der Ausstellung anklingt.
Die Paravents fungieren wie eine Ouvertüre oder ein Filmvorspann: Im Zentrum der Ausstellung steht dramatisch inszeniert eine Serie von sechs großformatigen Bildern – allesamt digitale Reproduktionen von drei Gemälden (wiederum in seitenrichtiger und gespiegelter Ausführung), die Ruscha zwischen 1985 und 2017 malte und die die amerikanische Flagge, das Star-Spangled Banner, in unterschiedlichen Stadien zeigen. Während im ersten Bildpaar die stolze Flagge vor strahlend blauem Hintergrund weht (nach Mother’s Boys, 1987), verfinstert sich der Himmel zunehmend im nächsten Bildpaar (nach Untitled [American flag on pole], 1985), bis schließlich im letzten (nach Our Flag, 2017) die total zerfetze Fahne vor schwarzem Hintergrund von einem schrecklichen Ende Kunde gibt. Die Klimax der in den Bildern veranschaulichten Progression wird durch die Ausstellungsarchitektur mit ansteigenden Wandhöhen verstärkt.
Gewohnt lakonisch und nicht ohne trockenen Humor kommentiert Ruscha damit die aktuelle Lage in den USA und legt nahe, dass Geschichte lang und die Gegenwart vergänglich ist. Double Americanisms knüpft in mancher Hinsicht an Course of Empire an, einen Werkzyklus, der die Veränderung urbaner Landschaft in Los Angeles im Verlauf der Zeit zum Thema hatte und den er 2005 im amerikanischen Pavillon auf der Venedig-Biennale präsentierte. Er bezog sich damit auch auf den Bilderzyklus The Course of Empire von Thomas Cole, einem britisch-amerikanischen Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts, der darin exemplarisch Aufstieg und Niedergang einer Zivilisation beschrieb und bereits implizit auf den ewigen Kreislauf der Erneuerung verweist.
Diskret an einer der Rückwände präsentiert ist mit In the Beginning (2011) ein kleines Werk vertreten, das viel über die subtile Erzählkunst Ruschas – seine Art, durch leise Anspielung die Imagination zu wecken – und seine an Duchamp geschulte Überzeugung, dass Kunst im Auge des Betrachters liegt, verrät. Wie bei allen Werken ist der interpretatorische Spielraum groß und grundsätzlich offen. Auch das erste Buch Mose, die Genesis, die Ur-Erzählung schlechthin, setzt ein mit „Im Anfang …“.
Das Vergnügen, mit offenen Augen durch Double Americanisms zu streifen, eine Ausstellung, die bei näherer Betrachtung wie eine Hommage an die widersprüchliche Pluralität Amerikas erscheint, setzt sich im Schriftbild We the People (2012) fort, einer Lithographie, die in altmodischer Type und Ruscha-charakteristischer perspektivischer Verkürzung den Anfang der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika in Erinnerung ruft.
geboren 1937 in Omaha (Nebraska), lebt und arbeitet in Los Angeles.