Carlos Bunga
Mind awake, body asleep
17.9. – 7.11.2021
Carlos Bunga studierte zunächst Malerei an der Escola Superior de Arte e Design in Caldas da Rainha in Portugal, empfand die Beschränkung auf die Zweidimensionalität der Leinwand aber bald als beengend. Aus dieser Erfahrung heraus erweiterte er seine Praxis um konzeptuelle, performative und installative Strategien, ohne den Blick auf die Malerei völlig aufzugeben. Mitte der 2000er-Jahre erfuhr er große Anerkennung mit ortsspezifischen Installationen und Performances, die seine internationale Karriere begründeten. Seither hat Bunga in zahlreichen Institutionen in Europa, den USA und Lateinamerika ausgestellt und auch mehrere Großprojekte im Außenraum realisiert.
Seine Arbeitsweise und bevorzugten Materialien betonen die Flüchtigkeit und Fragilität unserer Existenz. Alles ist ständig im Prozess der Veränderung, Sicherheit und Stabilität sind nur Fiktion oder das Ergebnis gesellschaftlicher Übereinkünfte. Für Carlos Bunga spielen sich Leben und Kunst im unberechenbaren Dazwischen ab. Die Erkenntnis der Instabilität und Brüchigkeit der Realität macht der Künstler vor allem an Architektur fest, die vermeintlich Schutz bietet, gleichzeitig aber auch den gesellschaftlichen Status der Menschen definiert. Es sind vor allem Fragmente, Ruinen, die Spuren von Verwüstung und Zerstörung, die Bunga an seinen architektonischen Interventionen reizen, die entweder als Bruchstücke gebaut oder von ihm in einem Prozess der Dekonstruktion zu Ruinen gemacht werden. Wie Architektur und das Wechselspiel von Körper und gebauter Umwelt unser Leben beeinflussen, was sie über unsere Herkunft und Möglichkeiten aussagen, sind neben Themen wie Nomadentum, Migration und Vertreibung zentrale Fragestellungen, die den Künstler beschäftigen:
Heute fühle ich mich in meiner Denkweise und auch in meiner Praxis als Nomade; jedes Projekt gehört zu dem Ort, an dem es entstanden ist, produziert und ausgestellt wurde. Für mich ist Nomadentum nicht nur eine physische, sondern auch eine mentale Angelegenheit. Es ist eine andere Art, die Welt zu betrachten.*
"Bunga entwickelte über die Jahre ein künstlerisches Vokabular und konzeptuelle Strategien, mit denen er auf die jeweiligen räumlichen Gegebenheiten reagiert. In seinen mitunter monumentalen und spektakulären Konstruktionen aus Karton nimmt er auf die Architektur des Ausstellungsortes Bezug. Er greift charakteristische Bauteile wie Säulen, Bodenraster oder andere formale Besonderheiten auf und wiederholt oder dekonstruiert sie, um so ein Moment der Irritation zu erzeugen. In manchen Fällen wird ihre Zerstörung durch den Künstler in Form von Performances Teil der Arbeit und veranschaulicht den kontinuierlichen Prozess von Werden und Vergehen. Vergleichbare Werke im Außenraum werden der Witterung ausgesetzt und durchlaufen gewissermaßen einen Verfallsprozess im Schnellverfahren. Begehbare Installationen wiederum machen die BesucherInnen zu AkteurInnen und laden ein, den eigenen Körper in der Begrenzung der gegebenen Form zu erfahren.
In seiner Ausstellung Mind awake, body asleep in der Secession beschäftigt sich Bunga mit dem rätselhaften Verhältnis von Körper und Geist, das besonders im Schlafzustand deutlich wird. Ihre nächtlich wiederkehrende Trennung und voneinander unabhängige Existenz faszinieren den Künstler, dessen Werke in einem Prozess entstehen, der ebenso von rationalen wie intuitiv getroffenen Entscheidungen gekennzeichnet ist. Die Spannung zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein, die Verletzlichkeit des im Schlaf ausgelieferten Körpers und die Funktion von Architektur, Möbel und Kleidung als schützende Hüllen lotet der Künstler in Räumen aus, die er als Passagen zwischen unterschiedlichen Bewusstseinszuständen konzipiert.
Bunga spielt mit der Vorstellung der Ausstellung als Inszenierung unterschiedlicher geistiger und emotionaler Zustände, ähnlich den fluiden und schwer greifbaren Erfahrungen im Traum. Jeder der vier Ausstellungsräume ist von einer eigenen Stimmung getragen und die BesucherInnen sind eingeladen, sich durch die Räume treiben zu lassen, ihre sinnlichen Besonderheiten aufzunehmen und die spezifischen Merkmale der Materialien, Oberflächen und Gerüche auf sich wirken zu lassen.
Der Künstler reagiert auch auf die örtlichen Gegebenheiten im Untergeschoss, die sich als Abfolge sehr unterschiedlicher Räume mit speziellen baulichen Merkmalen darstellen. Der erste Raum, unter dem Eingangsfoyer der Secession gelegen, weist im Grundriss die geometrische Form eines griechischen Kreuzes auf. In den beiden Wandnischen links und rechts realisierte er Konstruktionen aus Karton, die auf physischer Ebene mit der Architektur in Beziehung treten und gleichzeitig unterschiedliche Bewusstseinszustände repräsentieren. Die Nischen sind wie Schaufenster verglast und spielen auf die Trennung zwischen Werk und BetrachterInnen an, die bezeichnend für gerahmte Bilder ist.
Das Thema des Geteiltseins hallt auch in zwei Arbeiten wieder, die die Vorstellungskraft der BesucherInnen fordert: Rätselhafte Fragmente am Boden bedürfen der korrespondierenden Zeichnungen an der Wand, um die vollständigen Formen – ein Stuhl und ein Hocker – vor dem geistigen Auge erstehen zu lassen. Ein Environment mit einem Metallbett wiederum bedient sich eines Bildes aus dem kollektiven Gedächtnis, das reich an vor allem dystopischen Assoziationen wie beispielsweise zu Gefängnis oder Krankheit ist. Der von diesem Werk inspirierte Ausstellungstitel spielt unter anderem auf den pandemiebedingt verordneten Rückzug ins Häusliche, den körperlichen Stillstand und die daraus resultierende Asymmetrie zwischen geistiger und körperlicher Aktivität an. Der Körper ist gefangen, aber der Geist befreit sich im Schlaf. Für Bunga bedeutete die Zeit der Pandemie eine neuerliche Konzentration auf die Malerei, in die er als neues Element Pflanzenteile wie Gräser und Blüten inkludierte – Ausdruck der Sehnsucht nach Natur:
Die Vorstellung von Zuhause und Arbeit hat sich verändert, ebenso wie die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten. Die Natur ist eines der stärksten Elemente im Atelier während dieser Zeit.*
"Während die Kartonstrukturen im ersten Raum hinter Glas sind, hängen im dritten Raum Bilder von der Decke. Bemalter Filz und Seidenstoffe bilden eine labyrinthartige Struktur, durch die sich die BesucherInnen individuell einen Weg bahnen können. Ihr Luftzug bewegt die Textilien und erzeugt ein sich ständig änderndes Raumbild. Bungas spezielle Technik, Leim und Farbe zu mischen, resultiert in bewegten Oberflächen mit stark ausgeprägten Krakeele-Effekten. Die Ästhetik rissiger und abblätternder Farbe erinnert zudem an seine künstlerischen Anfänge, als er seine Bilder in Abbruchhäusern der Witterung aussetzte und der Prozess der Veränderung zu einer Komponente des Werks wurde. Gesteigert wird die sinnliche Erfahrung der Malerei im letzten Raum, in dem der Künstler ein begehbares Bodengemälde aus Leim und Farbe gegossen hat und die BesucherInnen wortwörtlich ins Bild stellt.
geboren 1976 in Porto, lebt und arbeitet in Barcelona.