Ulrik Heltoft
Kabinet
13.2. – 30.3.2014
Die Filme und Fotografien des dänischen Künstlers Ulrik Heltoft wirken auf subtile Weise mysteriös. Ausgehend von literarischen Erzählungen oder wissenschaftlichen Quellen lotet er in seinen Werken vielfach die konzeptuellen und ästhetischen Möglichkeiten spezifischer Techniken aus, bewahrt aber trotz seiner medialen Experimente stets eine klare und brillante Fotoqualität.
Für seine Ausstellung in der Secession hat Heltoft einen neuen Film, Kabinet, entwickelt. Er basiert auf der oft verfilmten sozialkritischen Erzählung Eine Weihnachtsgeschichte (1843) von Charles Dickens, in welcher der alte, hartherzige Geschäftsmann Ebenezer Scrooge sich durch das Zusammentreffen mit Geistern zum Wohltäter wandelt. Heltoft, der wie in vielen seiner Filme auch in diesem alle Rollen spielt, fokussiert auf die dreifache Begegnung mit dem eigenen Geist. Der Protagonist trifft auf sich selbst in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beziehungsweise auf sich als jungen Mann, auf sein heutiges Ich und auf jenen Mann, zu dem er sich entwickeln mag. Während sich die Aufnahmen mit dem Hauptakteur in allen drei Akten wiederholen, verändert sich bei seinem jeweiligen Gegenüber mit dem Erscheinungsbild auch die räumliche Position: Der Geist der Vergangenheit zeigt sich der Kamera direkt zugewandt, der der Gegenwart hingegen ist nur von hinten zu sehen, und jener der Zukunft wandert durch den Raum und singt mit synthetischer Stimme „Daisy Bell“, jenes Lied, das der intelligente Computer HAL in Kubricks Science-Fiction-Film 2001: A Space Odyssey singt, während er bei seiner Deaktivierung den Verstand verliert.
Inszeniert wird der Film in einem kargen Raum mit einem Schreibpult als einzigem Möbelstück, an dem der Protagonist häufig lehnt:
„Das Schränkchen und das Schreibpult im Video sind Möbel, die ich vor 20 Jahren gebaut habe. In meinen Augen ist der Schreibtisch der Computer der Vergangenheit, die Grundlage von Kommunikation, Buchführung usw. Das Schränkchen ist vielleicht die Sicherungsfestplatte. Es hat keinen eigenen Inhalt, sondern ist ein Werkzeug oder Platzhalter für alle relevanten Inhalte.“ (Heltoft)
Heltoft hinterfragt die Illusion sowohl auf der psychologischen Ebene des Abgleichs zwischen Selbstund Fremdwahrnehmung als auch auf der optischen Ebene. In dem Film verbinden sich gespielte und animierte Teile nahtlos. Zudem etabliert er ein spezifisches Spannungsverhältnis zwischen den Ästhetiken der historischen Fotografie und denjenigen der digitalen Technik. Er ist zugleich schwarzweiß getönt und im hochauflösenden Format 4K produziert, das in der Sichtbarkeit der Details einen nahezu unheimlichen Realismus erzeugt.
„Die Technik ist eine Herausforderung, sie verzeiht nichts, alles wird penibel sichtbar gemacht. Alle Illusionen werden aufgedeckt. (…) Stellen Sie sich vor, Sie sehen die Nachrichten in 4K: Sie würden plötzlich den Lippenstift auf den Zähnen des Sprechers oder ein hervorstehendes Nasenhaar wahrnehmen können. Dieser Hyperrealismus, glaube ich, führt zu einer von Grund auf anderen Auffassung der Story.“ (Heltoft)
Wie bereits in früheren Werken setzt Heltoft die Technik ein, um Ambiguitäten zu schaffen und Momente zu konstruieren, die zwischen Realität und Traum, Trugbildern und deren Desillusion oszillieren.
„Ich glaube nicht an mehrere parallele Wirklichkeiten – ich glaube, die Wirklichkeit ist aus vielen gegenwärtigen Wirklichkeiten zusammengesetzt. (…) Was mich interessiert, ist die Wirklichkeit der Träume.“ (Heltoft)
Charakteristisch für sein Werk ist die Fragmentierung der Erzählungen, deren räumliche und zeitliche Stringenz sich in dem Moment auflöst, wo man sie zu erkennen glaubt. François Piron erläutert in seinem Katalogbeitrag, dass viele seiner Arbeiten
„die Logik des Traums (übernehmen), in dem ein Alltagsgegenstand, ein Windhauch oder der Gesang eines Vogels es dem Träumenden ermöglicht, von einer Welt in eine andere überzugehen. Der Traum hat bei Heltoft sowohl die Struktur des Anfangens als auch die des Sich-Wiederholens. (…) Die ewig wiederkehrende Zeit, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischen, durchzieht die Werke Ulrik Heltofts weit über das Spiel des Zufalls, ‚der Instabilität der menschlichen Dinge’, hinaus in dem hypnotischen Strudel des unendlichen Raums.“
Im Dialog mit dem Film Kabinet zeigt Heltoft vier Fotografien, in denen die Paradoxien der Wahrnehmung von Zeit sowie die Thematik der Vergänglichkeit und Wiederholung wieder aufgegriffen werden. Sie zeigen eine Sonnenuhr kurz vor zwölf, zwei Männer im Schnee, ein Porträt des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Harold Bloom und die in Flammen aufgehende Warnung Mane Thecel Phares. Die Arbeiten sind Teil einer seit 2006 fortlaufend entwickelten Serie zu Raymond Roussels Nouvelles Impressions d’Afrique (1932). Um Zeichnungen für seinen Gedichtband anfertigen zu lassen, hatte Roussel dem Illustrator Henri-A. Zo über ein Detektivbüro 59 Anweisungen zukommen lassen, die dieser ohne die Herkunft zu kennen umsetzte. Die frühen surrealistischen Darstellungen werden von Heltoft in ein neues Jahrhundert und in das Medium der Fotografie übersetzt.
geboren 1973, lebt und arbeitet in Kopenhagen.