Thomas Locher
Homo Oeconomicus
5.7. – 1.9.2013
Der deutsche Künstler Thomas Locher, dessen Werk seit den späten 1980er Jahren als richtungweisend für die neokonzeptuelle Kunst gilt, untersucht in seinen Arbeiten das Regelwerk von Sprache und die Komplexität ihrer Funktionsweise. In seiner für die Secession konzipierten Ausstellung Homo Oeconomicus setzt er die bereits einige Jahre andauernde Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Sprache und Ökonomie und dem in diesen Systemen handelndem Subjekt fort. In zum größten Teil neuen Bildern, Objekten und Animationen verhandelt er Aspekte des Tausches, Strukturen des Kredits, Glaube und Glaubwürdigkeit sowie die Wirkung dieser Begriffe für die Konstituierung des Subjekts.
In der 15-teiligen Serie SMALL GIFT. TO GIVE. GIVING. GIVEN. GIFT, IF THERE IS ANY … (J.D.) (2006/2013) koppelt Thomas Locher allgemein zugängliche Medienbilder, die das Motiv des Gebens, der Übergabe, Gesten der Handreichung etc. beinhalten, mit überarbeiteten Textzitaten aus Jacques Derridas Schrift Falschgeld. Zeit geben I. Letztere hinterfragt, inwieweit es überhaupt möglich ist zu geben. Unter welchen Bedingungen ist die Gabe so rein, dass sie mit keiner Erwartung verknüpft ist und dadurch einen Bruch darstellt mit den ökonomischen Tauschverhältnissen? Ausgehend von solchen Überlegungen lässt Locher am widersprüchlichen Phänomen der Gabe und den damit verbundenen und in Beziehung gesetzten Gesten die formellen und informellen Bindekräfte unserer Gesellschaft sichtbar werden.
In einer anderen Werkgruppe verknüpft Thomas Locher Reproduktionen von Giottos Fresken Der Kuss des Judas und Die Fußwaschung (Scrovegni-Kapelle Padua, 1304/06) in Form von ausgestanzten, aufgeschichteten Buchstaben W-G-W (Ware-Geld-Ware) und G-W-G (Geld-Ware-Geld) mit der marxistischen Analyse der Warenzirkulation und der Frage nach den Regeln der Transformation von Waren und Geld in Kapital. Die Montage, das Prinzip, widersprüchliche Bedeutungen in einem Bild zusammenzubringen, um ein mehrdeutiges, offenes Wechselspiel zu gestalten, ist ein für Locher charakteristisches Verfahren. Ana T. Pinto setzt dies in ihrem Katalogtext in Bezug zu Walter Benjamin, der (Foto-)montagen als dialektische Bilder klassifiziert:
„Das dialektische Bild beinhaltet eine eher politische als psychologische Repräsentation der Zeit – eine Verschiebung der Zeitlichkeit, die man als das Gegenteil von Nostalgie beschreiben könnte, denn sie impliziert, dass das Bild der Vergangenheit nur über eine unsichere Schnittstelle zur Gegenwart wahrgenommen wird. (…) Anstatt sich durch den Gegensatz zur Sprache zu definieren, gehen dialektische Bilder geradezu aus dem Medium der Sprache hervor. In Lochers Arbeit wird das dialektische Bild häufig im Wortsinn aus Texten komponiert, die auf Acrylplatten oder auf Möbelstücken präsentiert werden.“ (Ana T. Pinto)
Für Homo Oeconomicus hängt Thomas Locher alle Werke in eine Reihe, entgegen der üblichen Leserichtung ausschließlich auf die eine Seite der Galerieräume. Im letzten Raum präsentiert er auf Flachbildschirmen zwei digitale Textarbeiten HOMO OECONOMICUS, DER KREDIT / Vorspann (Animation 2013) und HOMO OECONOMICUS, DAS SUBJEKT DER ÖKONOMIE / Abspann (Animation 2013), die ein auch auf die anderen Werke der Ausstellung übertragbares Referenzsystem an Definitionen und Fragen bieten. Ausgehend vom englischen Begriff „Credits“ greift Locher die filmische Form eines Vor- bzw. Nachspanns auf. Dem Genre, das die textuelle und visuelle Ebene miteinander verschränkt, entsprechend lässt er auf dem Bildschirm verschiedene, zum Teil mehrdeutige und widersprüchliche Begriffserklärungen zum Phänomen des Kredits mit seiner auf die Zukunft gerichteten Logik von Erwartung, Zahlungsterminen, Aufschub und Zinsen sowie zu den Eigenschaften des „ökonomischen Subjekts“ erscheinen.
Thomas Locher zielt in seinen Bild-Text-Konstruktionen darauf ab, das Allgemeingültige und Gesetzmäßige zu relativieren, die politischen Implikationen, die Sprache strukturell eingeschrieben sind, kritisch zu erkunden und die Auswirkungen auf das Zusammenleben und Handeln der Menschen aufzuzeigen. Sabeth Buchmann stellt in ihrem Katalogbeitrag heraus, wie er „entlang der Verbindungslinien von (Konzept-)Kunst, Semiotik, Dekonstruktion und (Post-)Strukturalismus verschiedene Werkformen herausgebildet hat“, die das Informationsparadigma der Konzeptkunst entscheidend weiterentwickeln:
„Denn im Unterschied zu konzeptuellen Werkformen erscheinen Lochers Montagen keineswegs von referenzieller Bedeutung gereinigt, noch lösen sie das Problem der Bedeutung durch schiere Referenzialität. Vielmehr bilden sie ‚buchstäbliche’ Schnittmengen zwischen ästhetischen und semantischen Informationen, mithin wechselseitige Übertragungen zwischen ikonischen und grammatikalischen Regeln, aus denen sich Themen wie Tausch- und Kreditwesen, Gesetzgebung, Menschenrechte, Rechtsprechung etc. gleichsam strukturell erschließen.“ (Sabeth Buchmann)
geboren 1956 in Munderkingen (Deutschland), lebt und arbeitet in Berlin und Kopenhagen.