Silvia Kolbowski
inadequate...Like...Power
17.9. – 11.11.2004
Wo und wie kann heutzutage eine kritische künstlerische Praxis platziert werden? Welche Möglichkeiten bieten konzeptuelle Strategien und Methoden, um zu einer Kritikfähigkeit zurück zu finden? Silvia Kolbowski zählt zu den zentralen VertreterInnen einer Generation von KünstlerInnen, die in Anlehnung an konzeptuelle Methoden der 60er und 70er Jahre den Objektivitätsanspruch von Aussagen – seien es Bilder, Töne oder Gesten – zugunsten einer Politisierung derselben radikal in Frage stellen. Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Praxis war vor allem eine intensive Auseinandersetzung mit Feminismus, feministischer Filmtheorie, Avantgardefilm und Überlegungen der Psychoanalyse, sowie in weiterer Folge der Konzeptkunst. In ihren Installationen thematisiert Silvia Kolbowski paradigmatische Phänomene eines aktuellen Zeitgeistes: die Faszination von Shopping, die Historisierung der Konzeptkunst, die Symbolkraft von Macht. Sie stehen für Erfahrungsräume einer Massenkultur, die von Dominanz und nicht von Diskurs geprägt ist. Diesen dominanten, monologischen Stimmen setzt Silvia Kolbowski modifizierte Interviewsituationen entgegen, die sowohl eine Vielstimmigkeit als auch eine “Ethik des Scheiterns” (Jacqueline Rose) zeigen, ohne aber über eine Personalisierung und Ich-Erzählung zu individualisieren.
Im Hauptraum der Secession sind das erste Mal drei raumgreifende Installationen der Künstlerin zu sehen: an inadequate history of conceptual art (1998-1999), Like Looking Away (2000-2002) und Proximity to Power: American Style (2003-2004), ein Projekt, das die Künstlerin speziell für die Secession entwickelte.
Die Ton- und Videoinstallation an inadequate history of conceptual art entstand als Reaktion auf das Revival der Konzeptkunst Mitte der 1990er Jahre. Das erneute Interesse an konzeptuellen Strömungen aus Europa, den USA, Asien und Lateinamerika führte zu einer abrupten Historisierung und Vermarktung. Ausgehend von dieser Beobachtung bat Silvia Kolbowski 22 KünstlerInnen, aus der Erinnerung ein Werk aus den Jahren 1965 bis 1975 zu beschreiben, dessen Zeuge sie waren. Die Erzählungen, die weder Namen der KünstlerInnen noch Titel der Arbeiten nennen, bieten einen Einblick in eine Vielzahl an Details und Nebenschauplätzen, die die Erfahrung und Erinnerung geformt haben. Wiederholungen, Verwechslungen, Lücken und divergente, subjektive Bewertungen vermitteln eine “unangemessene” (inadequate) Darstellung. Das hier vorgeführte Geschichtswissen ist von einer Vergangenheitsform, dem Unbewussten und Subjektiven, von Vielstimmigkeit, aber auch einem Scheitern in der sprachlichen Erfassung geprägt, was wiederum den offiziellen Fluss der Geschichtsschreibung stört. In der räumlichen Übersetzung trennt Silvia Kolbowski den Ton vom Bild. Während in einem Raum die Interviewstimmen zu hören sind, zeigt im anderen eine Videoprojektion nur die Hände der GesprächspartnerInnen. Die Bild- und Tonspur sind nicht synchronisiert, sondern verweisen auf die ethisch-politische Dimension der “Unangemessenheit”.
In Like Looking Away befragt Silvia Kolbowski junge Frauen zwischen 18 und 34 nach ihrer Beziehung zu Shopping. Auch hier beinhaltet die Installation nur die Antworten der Interviewten, nicht aber die Fragen der Künstlerin. Darüber hinaus wurden alle sprachlichen Verweise auf “Shopping” weggelassen. Die auf diese Weise bearbeiteten Aussagen der jungen Frauen ließ Silvia Kolbowski von einer Schauspielerin sprechen. Diese imitiert die spezifischen stimmlichen Eigenschaften und Intonationen der Protagonistinnen, während ihr Einsatz gleichzeitig eine Spannung zwischen Stimme und Ich-Erzählung erzeugt. Parallel zur Tonebene zeigt Silvia Kolbowski 31 Fotografien: Es sind Portraits der 30 Frauen, die aufgenommen wurden, während die Frauen sich das Playback ihrer Tonaufnahmen anhörten; die 31. Fotografie zeigt die Schauspielerin im Tonstudio. Räumlich, aber nicht akustisch getrennt sind in einem Videoloop Auszüge aus einem Hollywood Blockbuster zu sehen, der nur die gewalttätigsten Szenen des Films herausgreift. Like Looking Away thematisiert die Sublimierung persönlicher und öffentlicher Erfahrung und hebt so die Rolle des Unbewussten als treibende kulturelle Kraft hervor.
Die dritte Installation, Proximity to Power: American Style, die speziell für die Ausstellung in der Secession entstand, befragt Männer aus dem Bereich der Wirtschaft, Politik, Religion sowie der Medien- und Unterhaltungsindustrie, die in einer engen beruflichen Beziehung zu “Männern mit Macht” stehen. Diese Personen haben eine Stellvertreter- bzw. Mediatorenposition und tragen wesentlich zur Organisation der Macht bei. Für Silvia Kolbowski sind die relationalen Aspekte von Macht hinsichtlich amerikanischer und anderer weltweiter Tendenzen des Diktierens und Auferlegens von Macht und Kultur relevant. Die bearbeiteten Interviewsequenzen wurden ebenfalls von Schauspielern gesprochen. Sie sind mit einer Filmmusik gemischt, die auf dem Soundtrack eines bekannten Films über den Vietnamkrieg basiert, und bilden das Voiceover für zwei Diaserien. Die erste Serie zeigt ausschließlich Details jener bekannten Radierung Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (1796-1797) von Francisco Goya. Die Vergrößerung überführt die metaphorische und kulturkritische Bildsprache in eine Abstraktion. Im Dialog dazu findet sich eine zweite Serie, die eine konträre Bildsprache inszeniert: es sind Abbildungen, die Aussagen von ca. 40 Jungen zwischen sieben und elf Jahren (laut Freud die Latenzzeit) illustrieren, denen Silvia Kolbowski die Frage stellte: Wodurch wird für dich Macht repräsentiert?
geboren 1953 in Buenos Aires, lebt und arbeitet in New York.