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Saskia Olde Wolbers
A Shot in the Dark
27.5. – 21.8.2011

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Saskia Olde Wolbers, Pareidolia, 2011, Videostill, Courtesy Maureen Paley, London

Mit ihrer Ausstellung in der Secession zeigt die Videokünstlerin Saskia Olde Wolbers erstmals in Österreich eine Auswahl ihrer Werke, darunter die neue Arbeit Pareidolia(2011). Seit Mitte der 1990er-Jahre entwickelt Olde Wolbers fiktive Dokumentationen, die zumeist an tatsächliche Ereignisse angelehnt sind. Ihre komplexen Videos leben von der Kombination aus entrückt anmutenden, in minutiöser Handarbeit fabrizierten Modellwelten und dem scheinbar inneren Monolog der Offstimme ihrer hörbuchartigen Soundtracks. Die Filme wurden unter Wasser gedreht. In Farbe getauchte Miniaturen erzeugen eine labile Bildsprache, die den Denkprozess der Erzählerin in abstrakter Art und Weise illustriert.

 

Aktuell sind drei Arbeiten von Sakia Olde Wolbers in der Galerie der Secession zu sehen: Pareidolia (2011), Trailer (2005) und Placebo (2002).

 

Für die fiktionale Narration von Pareidolia(2011) dient die Situation als Basis, die zur Entstehung von Zen in der Kunst des Bogenschießens von Eugen Herrigel führte, einem im Japan der 1930er-Jahre angesiedelten Buch, das in der Nachkriegszeit in Europa zu einem Kultbuch wurde. In der Zen- Interpretation des Autors dreht sich alles um ein Ereignis, dessen Zeuge er wurde: das Abschießen zweier Pfeile in absoluter Dunkelheit durch seinen Lehrmeister, den exzentrischen Bogenmeister Awa Kenzo und das Spalten des ersten Pfeiles durch den zweiten. In Herrigels Buch rief der Meister dann aus: “Es, das Göttliche, hat geschossen!” Offenbar sprach keiner der Männer die Sprache des anderen und der Mann, der dem deutschen Professor und dem Meister als Dolmetscher diente, war nicht da, als Herrigel Zeuge dieser Epiphanie wurde.

 

Pareidolia wird aus der fiktiven Perspektive dieses Dolmetschers und dessen Alter ego, einem Vogel, erzählt. Deren Betrachtungen zur Jagd im Gegensatz zum Zen-Bogenschießen und zur Entstehungsgeschichte des populären Buches unterlegen den Film. Als er gebeten wird, das Buch ins Japanische zurück zu übersetzen, stellt diese Figur Subjektivität, Übersetzung und Glaube in Frage. Schon der Titel deutet an, dass im Hinblick auf Geschichten Vorsicht geboten ist: “Pareidolie” verweist auf die Tendenz der menschlichen Wahrnehmung, in zufälligen Strukturen bedeutungsvolle Bilder zu entdecken. Während der Geschichte, die erzählt wird, ein Ereignis zugrunde liegt, das nicht gezeigt werden kann, spielt der Titel darauf an, dass das Geschichtenerzählen weniger auf genauer Beobachtung oder reiner Fiktion als vielmehr auf Illusion und Täuschung basiert. Die Bilder des Films wurden im Inneren von Modellen eines Universitätshörsaals, einer Bogenschießhalle und traditioneller japanischer Interieurs gedreht, die mit animierten Sequenzen mit von tropfenden Pflanzen trinkenden Vögeln alternierten. Die Lo-Fi-Animatronik des Films wurde mit Nitinol kreiert.

Placebo (2002) ist angelehnt an das Leben von Jean-Claude Romand, einem Franzosen, der 18 Jahre lang vortäuschte, als Arzt für die Weltgesundheitsorganisation tätig zu sein. In Olde Wolbers’ Video hört man den Bericht einer Frau, die nach einem Autounfall in einem Krankenhaus das Bewusstsein wiedererlangt. Im Bett neben ihr liegt ein Mann im Koma. Dieser behauptet, verheiratet zu sein und in dem Krankenhaus, in dem die beiden nun liegen, als Chirurg zu arbeiten – und dass die Erzählerin seine Geliebte ist. Als ihm bewusst wird, dass sie Verdacht schöpft und seine Täuschung auffliegen könnte, lenkte er seinen Wagen gegen einen Baum. Die Geschichte spielt mit den Klischees von ehelicher Untreue und dem Phänomen der Pseudologia phantastica, einer Störung, bei der sich die Betroffenen ein alternatives Leben schaffen, das auf einem zwanghaften Lügengebäude aufbaut, welches zunehmend mit der Realität verschwimmt.

 

Die Bildsprache von Placebo zeigt das Innere eines Krankenhauses: Gänge, Zimmer und Brausetabletten, die vor dem inneren Auge der Geliebten in den Bildern herabsteigen. Weiße Farbtropfen triefen über die Filmschauplätze, während sich die Bilder, die sich in ihrem Kopf geformt hatten, als sie seinen erfundenen Berichten über seine Arbeit dort lauschte, auflösen, im wahrsten Sinne des Wortes dahinschmelzen.

 

In Trailer (2005) wird einem Mann bei der Vorführung eines Kino-Trailers bewusst, dass er das uneheliche Kind zweier ehemaliger, nunmehr in Vergessenheit geratener Filmstars ist. Die Offenbarungen evozieren schließlich Erinnerungen an das Leben im Urwald, in welchem seine Eltern verschwanden, nachdem sie vergeblich darauf gewartet hatten, dort einen Film in Kinema Color zu drehen, einem obskuren Filmformat, das schon kurz nach seiner Erfindung wieder veraltet war. Bei dieser Reise in die Erinnerung erscheint das Pflanzenleben fremd und stilisiert, wie in einem Traum. Das verlassene Lichtspieltheater wird für den Erzähler Tor zu seiner verlorenen Kindheit. In dieser abgekapselten Welt wirkt die Natur menschengemacht, der architektonische Raum, das lippenstiftfarbige Kino, hingegen menschlich. Uncommon Knowledge, ein Buch von Judy Lewis, der unehelichen Tochter von Clark Gable, diente dem Plot von Trailer als inspirative Vorlage. Bald nachdem ihr eröffnet wurde, wer eigentlich ihr Vater sei, starb er. Sie hatte nur mehr Zugang zur Schauspieler-Version seiner Persönlichkeit.

 

In Olde Wolbers’ in Wasser und Farbe getauchten, sich langsam entfaltenden Erinnerungsräumen enthüllen die Charaktere und ihre Geschichten die schon an sich widersprüchliche, fließende und ambivalente Natur der Wahrheit und der Fiktion. Sie erinnern daran, dass bewegte Bilder solche Differenzierungen gänzlich außer Kraft setzen können.

 




Künstler*innen
Saskia Olde Wolbers

geboren 1971 in Breda (Niederlande), lebt und arbeitet in London.

Programmiert vom Vorstand der Secession


Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07