Rudolf Polanszky
Eidola
9.2. – 22.4.2018
Wie kann man sich die Ordnung von Primzahlen außer in der gewohnten, linearen Form der Reihe vorstellen? Wenn die Ordnung eine räumliche Komponente, eine dritte Dimension annimmt beispielsweise, und sich ein Primraum formt. Welche (neuen) Möglichkeiten der Erkenntnis tun sich auf, wenn man die Wahrnehmung von Negativ- und Positivräumen, von Innen- und Außenbegrenzungen umkehrt? Solche und ähnliche Fragestellungen beschäftigen Rudolf Polanszky ebenso wie Grundthemen der Mathematik und der Erkenntnistheorie oder antike griechische Denkschulen, und in seinen Skulpturen, Bildreliefs, Texten und Aktionen verleiht er diesen eine provisorische Manifestation von durchaus poetischer Leichtigkeit.
Zu Polanszkys bevorzugten Materialien zählen Plexiglas, Metall, Spiegelfolie, Kunstharz, Draht und Schaumstoff, die er in der Verarbeitung von ihrem ursprünglichen Zweck oder vorgesehenen Nutzen entkoppelt und somit befreit. Mittels eines non-linearen Verfahrens des spontanen Zusammenfügens vorhandener Materialien und zufälliger Formen – vom Künstler als „Ad-hoc-Synthese“ bezeichnet – entstehen durch Überlagerung, Schichtung, Überschneidung, Verschachtelung oder Faltung neue Strukturen, „translineare“ bzw. „transaggregate“ beispielsweise, die laut Polanszky „ein über einen scheinbar stabilen Zustand hinausweisendes, instabiles Konstrukt einer subjektiven Realität“ sind.
In seiner Einzelausstellung im Hauptraum der Secession sind eine Reihe von skulpturalen Werken und Bildobjekten aus unterschiedlichen Werkgruppen der letzten Jahre versammelt. Die Arbeiten bieten einen Einblick sowohl in die Gedankenwelt als auch in das davon inspirierte Oeuvre des Künstlers, das mit der Unbeständigkeit der Behauptung gegenüber der unumstößlichen Feststellung spielt. Seine Herangehensweise erklärt Polanszky folgenderweise:
„Meine Arbeit ist ein Versuch, Entsprechungen von Vorstellungsmustern neu zu ordnen, zu verändern und meine Denkstrukturen umzuorganisieren. […] Im Spiel von Wahrnehmung und Erfahrung scheint man dazu angehalten, das angebotene Außenbild auf rationale Weise zu entschlüsseln und bedient sich am Erinnerungsmaterial, an den zur Verfügung stehenden Ähnlichkeitsmustern, die so weit modelliert werden, bis sich ein scheinbar kongruentes, d.h. deckungsähnliches Referenzmodell bildet. Die Konvention über die Interpretation von Erfahrung ist einerseits empirisch über die Sinne, auf der anderen Seite über rationale, deduktive Strukturen im Denksystem organisiert und präformiert. In meiner Arbeit versuche ich durch Verzerrung und Überdehnung eben jener mentalen Vorstellungsmuster eine Veränderung des Grundmaterials zu erzielen […].“
An den Wänden der Seitenschiffe hängen Bildreliefs, die aus Schichtungen und Zusammenfügungen von Negativ- und Positivausschnitten aus dünnen Plexiglasplatten und Folie entstanden: zwei großformatige Spiegelbilder (Dunkle Spiegelung) auf der einen und mehrere Bildobjekte aus der Reihe der Reconstructions auf der anderen Seite. Dazwischen sind in losen Gruppen Primskulpturen, Hypertransforme Skulpturen, Konfusionsskulpturen und Hyperbolische Räume – „imaginierte Vorstellungsräume mehrdimensionaler Strukturen, [die] sich ebenso wie die transaggregate Struktur der direkten Beobachtung [entziehen]“ (R.P.) – gewissermaßen um eine imaginierte Agora arrangiert.
Seit Mitte der 1970er-Jahre hat Rudolf Polanszky ein vielschichtiges Oeuvre geschaffen, das von konzeptuellen Film-, Video- und Fotoarbeiten über Zeichnung und Malerei bis zu skulpturalen Objekten und Assemblagen reicht. Sein Werk ist geprägt durch die beabsichtigte und durchaus methodische Einbindung des Zufälligen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Verwendung von Materialien, die Gebrauchsspuren aufweisen oder der Witterung ausgesetzt waren, da sie gewissermaßen die Aufgabe der Kontrolle über die Formgebung und die Unterwanderung des künstlerisch-konstruktiven Gestaltungswillens fördern. Die Faszination für wissenschaftliche Erklärungsmodelle gepaart mit der Skepsis gegenüber einer vermeintlich unerschütterlichen Logik, die Welt zu begreifen, haben den Künstler selbst diverse Verstehensschemata entwickeln lassen. Diese folgen der Nicht-Sinnstiftung als Leitidee und nehmen in intuitiv konstruierten Objekten Gestalt an, die er als provisorische Verkörperungen gedanklich-sprachlicher Gebilde versteht.
Schon in frühen Super-8-Filmen wie Die Semiologie der Sinne (1976) und Der musikalische Affe (1979) thematisierte Polanszky Fragen von Erkennen/Erkenntnis, Täuschung und Illusion. In seinen Sprungfedernzeichnungen und Sitzbildern, die Mitte der 1980er-Jahre entstanden, spielt die Geste des Zufälligen und Unkontrollierten sowohl in der Konzeption als bei der Gestaltung eine wichtige Rolle. Dem Prinzip der Festlegung setzt er bis heute eine Art „hypothetische Einstweiligkeit“ entgegen, die die Veränderlichkeit von Strukturen und die Relativität einer wissenschaftlichen Wahrheitslogik ins Bewusstsein rufen soll. So lässt sich auch Polanszkys Faszination für Trug-, Schein- und Spiegelbilder und seine Skepsis gegenüber dem Absoluten, rein Rationalen erklären. Für seine Ausstellung in der Secession wählte er den Titel Eidola (Plural von eidolon, griech. = kleines Trugbild, Phantomerscheinung), und frei nach dem Motto „What you see is what you get“ könnte hier als Leitmotiv „What you get is more (other) than what you see“ gelten.
Das zur Ausstellung veröffentlichte Künstlerbuch versammelt ausgewählte Texte des Künstlers in Form von Faksimiles seiner handschriftlichen Notizen samt Transkriptionen.
geboren 1951 in Wien, lebt und arbeitet in Wien.