R. H. Quaytman
An Evening, Chapter 32
17.11.2017 – 28.1.2018
Für den Hauptraum der Secession hat die amerikanische Künstlerin R. H. Quaytman unter dem Titel An Evening. Chapter 32 einen Fries aus 22 Gemälden auf Holztafeln entwickelt. Die Gemälde hängen auf zwei im 45-Grad-Winkel zueinander stehenden Wänden. Wie die Grundrisse einiger früherer Ausstellungen der Künstlerin basiert die architektonische Anordnung auf der Figur des geöffneten Buchs und unterstreicht die Zentralperspektive. Die Länge beider Wände entspricht der von Klimts Beethovenfries, den sie in ihrem Werkkapitel auf vielfache Weise aufgreift.
Über diesen Ortsbezug hinaus wählte Quaytman als Ausgangspunkt zwei Gemälde des Flamen Otto van Veen (1556–1629) aus der Sammlung des Kunsthistorischen Museums Wien – Perserinnen und Amazonen und Skythen. Als Quaytman in der dortigen Restaurierungswerkstatt auf diese ungewöhnlichen und faszinierenden Bilder stieß, entschied sie sich, die Restaurierung finanziell zu unterstützen, um im Gegenzug Fotos der Werke nutzen und die Perserinnen in die Ausstellung integrieren zu können. Das zweite Bild, Amazonen und Skythen, ist derzeit in der Rubens, einem Schüler van Veens, gewidmeten Ausstellung im KHM zu sehen.
Perserinnen zeigt eine historische Begebenheit aus Plutarchs Schrift Von den Tugenden der Frauen, in der die Frauen die Geste der Selbstentblößung einsetzen, als sie feststellen, dass ihre Männer den Kampf um die Stadt verlieren. Die geschlagenen Soldaten versuchen in die Stadt zurückzukehren und treffen dabei auf ihre Frauen, die ihre Genitalien enthüllen und schreien: „Wohin lauft ihr denn so schnell, ihr größten Feiglinge auf der ganzen Welt? Ihr hofft doch wohl nicht, auf eurer Flucht dorthin zurückzukriechen, woher ihr einst gekrochen kamt?“ Geschockt vom Anblick und gedemütigt durch die Worte, haben die Männer keine andere Wahl, als umzukehren und den Feind zu bezwingen.
In Quaytmans Bildern wird eine Reihe von Techniken angewendet, beginnend mit der Gesso-Grundierung aus Hasenleim, deren Färbung den Gipsgrund des Beethovenfrieses aufgreift. Für einige Gemälde wurden Tülle oder Netze, deren Zuschnitt an Körper erinnert, in die Gesso-Grundierung eingebettet und glattgeschliffen. Die fotografischen Siebdruckvorlagen umfassen die Vorder- ebenso wie die Rückseiten der zwei Bilder Otto van Veens, außerdem eine polnische Landschaft, die die Künstlerin letztes Jahr fotografierte, als sie mit der Recherche für das Kapitel begann.
Quaytman greift die der Malerei innewohnende Dialektik zwischen Enthüllung und Rückzug, zwischen Biografie und Kontext auf. Bereits seit 2001 arbeitet die Künstlerin mit einer Kapitelstruktur als organisierendem Formprinzip, das in die Schaffung eines übergreifenden Werkkomplexes einfließt. Die Künstlerin hat verschiedene Systeme und Regeln entwickelt, um Größe, Material, Oberfläche und Motive ihrer Bilder festzulegen. Statt die Themen bloß isoliert in einzelnen Bildern zu verhandeln, schließt sie Archive und Objekte, die mit dem Ort der Ausstellung verbunden sind, mit kunsthistorischen Untersuchungen und aktuellen Reflexionen kurz – ein Prozess, der eine eigene Version von Geschichte und Verankerung der Bilder in der Gegenwart entstehen lässt. Deutlich wird dies etwa an Quaytmans Umgang mit den Referenzbildern. Dazu die Künstlerin:
„Dann gibt es noch das Sujet, das immer ganz dringend in einem perspektivischen Raum Platz finden will – darüber musste ich mit Blick auf die beiden Gemälde von Otto van Veen, von denen das Ganze inspiriert wurde, immer wieder nachdenken: Wie sollte ich sie in ein Bild von heute einbauen? Ich habe mehrere Tafeln mit Siebdrucken von Fotografien beider Gemälde gemacht, um herauszufinden, wie ich darauf malen oder eben nicht darauf malen könnte. Die Idee von Malerei auf fotografischen Motiven interessiert mich sehr und der Akt des Übermalens eines alten Gemäldes war befreiend. Nichtsdestotrotz bedarf es eines Grunds, das zu tun. Für die zwei Bilder hier ersann ich daher einen Trick, um anfangen zu können.
Ich projizierte Raimondis berühmten Kupferstich Das Urteil des Paris auf beide Bilder und malte die Umrisslinien nach. Ich muss oft an das Bild Raimondis und alles, was es heraufbeschwört, denken und die Kompositionen und Dimensionen der beiden Otto van Veens erinnerten mich sehr an dieses Werk. Die Überblendung war unglaublich, weil so vieles erstaunlich gut zusammenpasste. Sie ermöglichte mir, durch den Prozess des Malens des Gemäldes eine neue Erzählung zu finden oder herbeizurufen. Sobald eine Person oder ein Gesicht oder ein Körperteil sichtbar wurde, griff ich das auf. In gewisser Weise wurde die Begrenzung des Urteils aufgehoben.“
Quaytman vereitelt das perspektivische Streben des Blicks in die imaginierte Tiefe des Bildes durch den Bildaufbau des Frieses, der sich durch eine flächige Struktur, rhythmische Unterteilungen und über mehrere Bildtafeln erstreckende Farbfelder auszeichnet. Zwei optische Muster durchziehen die Installation: Schachbrett und Streifen. Eine große, in Steinway-Klavierlack ausgeführte Keilform spannt sich über 11 der 22 Bildtafeln. Sie erzeugt die optische Illusion, dass sich die neun Bildtafeln der linken Seite räumlich auf der rechten Seite fortsetzen. Diese Qualität der Gesamtkomposition verdeutlicht einmal mehr, dass Quaytman ihre Bilder nicht ausschließlich als autonome Objekte begreift, sondern als Werkgruppen, die die Bedingungen ihrer eigenen Produktion, Präsentation, Rezeption und Zirkulation anerkennen. Obwohl jedes Bild autonom ist, kommt dem Kontext eine gleichwertige Bedeutung zu.
Quaytmans Weiterentwicklung der Malerei beruht vielfach auf Konzepten, die in Zusammenhang mit Feminismus diskutiert werden: die Unterwanderung von Autorschaft, Hierarchien und des Themas, das die Bilder versprechen – ein Thema, das historisch eng verknüpft ist mit der Verdinglichung des weiblichen Körpers durch den typischerweise männlichen autoritären Blick.
lebt und arbeitet in New York City.