Rana Hamadeh
Standard_Deviation
In Zusammenarbeit mit Sara Hamadeh
17.9. – 7.11.2021
Rana Hamadehs Werk lässt die BetrachterInnen in akustische und visuelle Welten eintauchen. Seit 2016 entwickelt sie eine „Opernpraxis“, die mit verschiedenen Formen des Schreibens und Komponierens experimentiert und Modelle für kollektives (und künstlich erweitertes) Denken und Lernen erprobt. Thematisch ist ihr Werk einer eingehenden Untersuchung der Epistemologien und Technologien des Rechts gewidmet. Dazu betrachtet die Künstlerin Bildsprachen der Gewalt, die ihren Ursprung in jenen sprachlichen, rechtlichen und theatralischen Infrastrukturen haben, die unser Verständnis von Gerechtigkeit prägen.
In der Secession präsentiert Hamadeh eine neue Fassung ihres sich ständig weiterentwickelnden Animationsfilms Standard_Deviation. Der Film, der in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin Sara Hamadeh entstand, widmet sich Sophokles’ berühmter Tragödie König Ödipus. Statt aber das grauenvolle Schicksal Ödipus’, des Königs von Theben, dessen Reise zur Selbstfindung sich entfaltet, während die Pest in der Stadt wütet, nachzuerzählen, unternimmt die Arbeit eine Lektüre der dramatischen Konstrukte von Sophokles’ Stück als solchem – also seinem Entwurf der Tragödie als „Ausdauertechnologie.“ Der Film beruht auf einem Libretto, das die Künstlerin verfasst hat und das in verschiedene klangliche wie visuelle Formen – gesprochene Sprache, opernartige Aufführungen und Ausdrucke – übersetzt wird. Mit ihrer poetischen Annäherung an die klassische Erzählung wirft die Arbeit neues Licht auf den Verlauf der Tragödie, indem sie die antiken Figuren vor einem Hintergrund aus diversen Verweisen, nichtlinearen Erzählstrukturen und unheimlichen Räumen auftreten lässt.
In seiner digitalen Ästhetik erinnert der Film an ein Computerspiel. Er verbindet zwei unterschiedliche visuelle Logiken: Zum einen enthält er 2D-Pixel-Animationen, die an Computerspiele der 1980er und frühen 1990er Jahre erinnern (mit Hindernissen, die überwunden werden müssen, um „höhere Level“ zu erreichen), zum anderen eine auffallend andere 3D-Animation, die Einblick in die innere Psyche der Charaktere gibt, als würde man das Spiel auf zwei verschiedenen Ebenen betrachten. Die animierten 3D-Einblicke erlauben es, die verzerrte Handlung als „Spiel-Erzählung“ zu akzeptieren. Die Handlung im traditionellen Sinne weicht scheinbar absurden Ereignissen, die ihre Genealogie in herausragenden Ereignissen im Leben der Charaktere – Kampf, Geburt, Tod, Zerstörung und Auferstehung – finden.
Die visualisierten Szenarien sind ebenso traumartig wie bedrohlich, während die Handlung von Zahnrädern und Prothesen vorangetrieben wird. Der Film ist rund um das wiederkehrende Thema des Laufens strukturiert, etwa Ödipus’ Versuch, seinem Schicksal zu entfliehen. Figuren wie das Bein, die Garnele, die Blockstühle, der Papierflieger und der Verkehrsleitkegel wandern durch von einem Anatomietheater inspirierte Kulissen. Beständig entfaltet sich ein Theater aus dem anderen. Das Gaukelspiel fantastischer Bilder wird von einer kakophonen Sechskanalkomposition begleitet, die für die Ausstellung eigens verräumlicht wird. Der Klang wird konstant intensiviert. Ein mise-en-abyme-artiger Loop, ein Gefühl der Klaustrophobie und die Unfähigkeit, Räume, die zu betreten wir gezwungen sind, freiwillig zu verlassen – die Arbeit ist ein Spiel mit den Sinnen und dem Nervensystem. Ein Schlüssel dazu ist die Erfahrung von Trance in Kombination mit einem Gefühl der Orientierungslosigkeit.
Hamadeh entwickelt im Zuge ihrer künstlerischen Forschung normalerweise langjährige diskursive Projekte, die sie in Form von Theaterperformances, Sound-Kompositionen, interaktiven audiovisuellen Installationen, Systementwürfen und pädagogischen Anordnungen umsetzt. Standard_Deviation ist Teil ihrer langfristig angelegten, wachsenden Werkgruppe The Destiny Project. Seit 2020 erkundet The Destiny Project die Produktion, Konsumtion, Zirkulation und Artikulation von Begehren im zeitgenössischen globalen öffentlichen Diskurs.
The Destiny Project / Standard_Deviation wurde beauftragt von SCHUNCK (Gemeente Heerlen) und ermöglicht durch SCHUNCK (Gemeente Heerlen), steirischer herbst ‘20 und Secession Wien, mit der großzügigen finanziellen Unterstützung durch den Mondriaan Fonds und Gemeente Rotterdam.
geboren 1983 in Beirut, lebt und arbeitet in Rotterdam.