Philipp Timischl
Artworks For All Age Groups
16.11.2018 – 20.1.2019
In seinen multimedialen raumgreifenden Installationen entwickelt Philipp Timischl aus alltäglichen Aufzeichnungen und gesammeltem und produziertem Material narrative Strukturen. Zwischen Dokumentation und Fiktion, privaten und öffentlichen Sphären oszillierend, spielen sie mit Intimität und Selbstbezüglichkeit. Zu seinen grundlegenden Themen zählen Herkunft, Exklusion und Queerness in ihrem Bezug auf soziale Klassen ebenso wie die Machtdynamiken zwischen Kunst, Künstler und Publikum.
Timischls für die Secession geschaffene Ausstellung Artworks For All Age Groups umfasst Fotografien, Bildwerke und Skulpturen, die vom ihm installativ inszeniert werden.
Auf der Fotoserie ist eine vermeintlich luxuriös gestylte Frau – der Künstler selbst in Drag – zu sehen, die in Begleitung eines muskulösen jungen Mannes die verschiedenen menschenleeren Ausstellungsräume, versteckte Gänge und Büros der Secession durchschreitet. Ihr Erscheinungsbild und Habitus deuten allerdings auf ein Missverständnis dessen, was in dieser Umgebung als angemessen gilt, hin. Timischl setzt übertrieben gespielte Heteronormativität, Humor und das Künstliche hier allerdings nicht ein, um sie etwa im Sinne von Camp ästhetisch aufzuwerten, sondern verweist auf ein gespieltes Selbstbewusstsein, das aus Unsicherheit, Ausgrenzung und Zerrissenheit zwischen Milieus und unterschiedlichen Klassen resultiert. Tatsächlich scheint sich die Protagonistin mit dem farblich koordinierten Make-up und Outfit sogar größte Mühe gegeben zu haben, die Ästhetik der Institution und die Figuren im Beethovenfries zu imitieren. Dennoch hat sie die unsichtbaren Regeln, selbst in einem liberalen Raum wie dem der zeitgenössischen Kunst, scheinbar fehl interpretiert.
Didier Eribons biografisches Buch Rückkehr nach Reims, in dem er den Zusammenhang zwischen der Scham über die Herkunft aus der französischen Arbeiterklasse und seiner eigenen Homosexualität untersucht, bildet für Timischl eine zentrale Referenz. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Vertrautheit mit Kulturtechniken wie einem Museumsbesuch erlernt werden kann. Die Untersuchung der zugrunde liegenden sozialen Distinktionen gewinnt in Artworks For All Age Groups durch das Wechselspiel mit den ästhetischen Qualitäten des Kunstwerks eine zusätzliche Ebene der Komplexität. Paul Clinton dazu in seinem Katalogessay „A Class Act“:
„Zwischen den Erfahrungen eines gebildeten Freiberuflers mit schwankendem Einkommen und denen von Arbeitern ohne Ausbildung und mit wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt besteht ein erheblicher Unterschied. Der modische Begriff ‚Prekariat‘ legt das Hauptaugenmerk auf Einkommensverhältnisse und Beschäftigungssicherheit und unterschlägt andere Formen des Ausschlusses, denen Mitglieder der Arbeiterschicht ausgesetzt sind. Dazu zählen psychologische und kulturelle Barrieren wie auch Bildungsunterschiede und Geschmacksprägungen. Diese vernachlässigten Aspekte einer Klassengesellschaft und ihr Verhältnis zu queerer Identität manifestieren sich in Philipp Timischls Fotografien für Artworks For All Age Groups in Szenen der Verführung und Verfremdung. […]
Vor allem […] prallen in Timischls Fotografien zwei weitere und scheinbar entgegengesetzte Formen der Verfremdung aufeinander: Modefotografie und marxistische Kunst. Modefotografie setzt normalerweise auf den Traum vom Aufstieg, nicht auf Inklusion. Die Frau in Timischls Bildern posiert und stolziert genau wie ein Model, als ob sie das Objekt ihres eigenen Begehrens und vor den Blicken der BetrachterInnen geschützt wäre. Wenn sie in die Kamera sieht, dann mit kaltem Blick oder so, als wären die BetrachterInnen für sie unsichtbar. Angesichts der kritischen Stoßrichtung von Timischls Fotos würde diese distanzierende Wirkung jedoch besser zu den Zielen und Verfahren passen, die man mit Brecht und der Geschichte sozialistischer Kunst verbindet. Wenn Brechtsche Verfremdung hier in das Medium der Modefotografie umgeleitet wird, dann scheinen beide in den Bildern gleichrangig nebeneinander zu bestehen. In Wirklichkeit ist Gefallen an den Techniken der künstlerischen Moderne nicht weniger eine soziale Distinktionsmarkierung als Designerkleidung, und darin liegt vielleicht die radikalste Herausforderung von Timischls Bildern. Künstler, die sich mit Klassenfragen auseinandersetzen, müssen zur Kenntnis nehmen, dass Kunst und Kultur selbst immer noch Mechanismen der Klassenunterscheidung sind und dass ihre eigene Arbeit in eben die Systeme der Unterdrückung verstrickt sind, die sie aufzeigen wollen. Künstler und Queers, die in keiner Klasse richtig zu Hause sind, sind sich dieser Abgrenzungsinstrumente nur zu bewusst.“
Die Spannung zwischen Begehren und mangelnder Zugänglichkeit wird durch die installative Erweiterung der Bildserien für die BetrachterInnen auch körperlich nachvollziehbar. Umgekippte, verstreut im Raum liegende Sockelskulpturen dienen nicht den Kunstwerken, sondern richten sich an das Publikum; zwingen es zu Umwegen und behindern oder versperren den Blick auf die einzelnen Bilder. Ein ähnliches Spiel, nur übertragen auf die zeitliche Dimension, kennzeichnet die zwei TV-Skulpturen. Die hybriden Türme aus einem Flachbildschirm und einer direkt darüber angebrachten Fotografie werden durch das Zusammenspiel von statischen und zeitbasierten digitalen Bildern aktiviert. Hier weckt die rückwärts zählende Uhr lange Zeit große Erwartungen bei den BetrachterInnen; das Sujet wird jedoch lediglich für den Bruchteil einer Sekunde vervollständigt, bevor der Countdown von neuem beginnt.
geboren 1989 in Graz, lebt und arbeitet in Wien.