Oliver Laric
Photoplastik
22.4. – 19.6.2016
Von Glyptotheken und Gipsabgusssammlungen beeindruckt, verwandelt Oliver Laric mit seiner Ausstellung Photoplastik den Hauptraum der Secession in eine Skulpturenhalle, die seine Bearbeitungen von Werken unterschiedlicher Epochen von der Antike bis zur Gegenwart versammelt und mit Objekten aus Populärkultur und Naturwissenschaft verbindet. Die gesamte Ausstellung wurde von Laric eigens für die Secession konzipiert und enthält ausschließlich neue Werke, die wie viele Arbeiten des Künstlers der letzten Jahre großteils im 3D-Verfahren gedruckt wurden. Die auf den ersten Blick überraschende Zusammenstellung von Skulpturen lässt sich entlang thematischer Schwerpunkte, die stark verkürzt unter den Begriffen Form, Technologie, Politik und Recht zusammengefasst werden können, als eine Erzählung über Kunst und Technologie lesen.
Laric verbindet und überträgt Qualitäten aus dem digitalen Bereich wie einfache Reproduzierbarkeit, unendliche Wandelbarkeit und schnelle Verbreitung mit scheinbarer Leichtigkeit in den physischen Raum. Seine Skulpturen basieren auf Kunstwerken und Objekten, die er im Fall der Wiener Ausstellung im Kunsthistorischen Museum, in der Albertina, am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien und im öffentlichen Raum gescannt hatte, ehe sie einen aufwendigen 3D-Modellierungsprozess durchliefen und für den „Druck“ bereit waren.
Die Ausstellung besteht aus mehreren Teilen, die unabhängig voneinander funktionieren: Über die ausgeführten Skulpturen hinaus sind die auf der Webseite threedscans.com zum rechtefreien und kostenlosen Download bereitgestellten Daten dieser und vieler weiterer Skulpturen ein gleichwertiger und zentraler Teil der Ausstellung. Seit seinem vielbeachteten Museumsprojekt im britischen Lincoln im Jahr 2012 (siehe lincoln3dscans.co.uk) arbeitet Laric an einem öffentlich zugänglichen 3D-Archiv von Kunstwerken und Alltagsgegenständen. Das Lincoln-Projekt stand für Laric am Anfang zahlreicher weiterer Kooperationen mit bedeutenden Museen; die Verhandlungen über einen freien Zugang zu deren Sammlungsobjekten in Form veröffentlichter und bearbeitbarer Daten wurden in den letzen Jahren unweigerlich Teil seiner künstlerischen Praxis. Sein Bestreben, museale Kunstobjekte als 3D-Daten über geografische, soziale und kulturelle Grenzen hinweg zu verbreiten und einer zunehmend digitalen Gesellschaft zugänglich zu machen, stellt für viele Museen eine große Herausforderung dar, die durch Unklarheiten im Hinblick auf Urheber- und Nutzungsrechte kompliziert wird. Jüngste Bestrebungen der EU, die nicht in allen EU-Ländern geltende Panoramafreiheit – das allgemeine Recht, alles im öffentlichen Raum Befindliche ohne Urheberrechtseinschränkungen zu fotografieren und zu veröffentlichen – abzuschaffen, sind nur ein Symptom einer gegenwärtigen Überforderung politischer und ökonomischer Systeme, die von rasanten technischen Entwicklungen überrollt werden.
Larics Interesse an 3D-Technologien führte ihn zu einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit dem Medium. Er stieß auf heute vergessene Vorläufer aus dem 19. Jahrhundert, die sich der mechanischen Reproduktion dreidimensionaler Objekte auf Basis der Fotografie gewidmet hatten. Die bedeutendste Persönlichkeit darunter war François Willème, der bereits 1860 in Frankreich ein Patent anmeldete, das praktisch das heutige 3D-Verfahren vorwegnahm. Seine Erfindung ermöglichte die schnellere und billigere Produktion von Skulpturen anhand von Fotografien. Die Recherchen zu Willème, der mit seiner Erfindung durch europäische Städte tourte und auch in Wien arbeitete, stellte sich für die Konzeption der Ausstellung als fruchtbar heraus, nicht zuletzt, weil sich in der Sammlung der Albertina Beispiele sogenannter Fotoplastiken fanden: Neben Arbeiten anderer wichtiger Künstler aus diesem Bereich wie Willy Selke, H. Poetschke (beide Berlin) und Josef Anger & Söhne (Wien) gibt es dort ein Selbstbildnis von Willème, das Laric für die Ausstellung in vier Größen auf einer Grundplatte drucken ließ. Mit dieser subtilen kompositorischen Intervention veranschaulicht er die beiden charakteristischen Merkmale von Willèmes Erfindung: die Möglichkeit der einfachen Vervielfältigung und der problemlosen Größenska-lierung. Mit dem Titel der Ausstellung bezieht sich Laric wiederum auf das Buch des Wiener Foto-historikers Eduard Kuchinka Die Photoplastik. Herstellung photographischer Skulpturen und Reliefs und ähnliche Verfahren aus dem Jahr 1926, das mit François Willème beginnt.
Die Auswahl der Werke in der Ausstellung zeigt, wie Laric seine Recherchen zu Geschichte und Grundlagen der 3D-Technologie mit künstlerischen, formalen und archäologischen Themen verbindet. Seine an kunstwissenschaftliche Methoden erinnernde Gegenüberstellung von Werken teils aus unterschiedlichen Epochen lässt an Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas denken, der mittels vergleichender Bildwissenschaft das Weiterleben der Antike und ihre Einflüsse auf die europäische Kultur untersuchte. Vor dem Hintergrund seiner frühen netzbasierten Arbeiten und der durch digitale Handlungen wie „copy and paste“ aufgeworfenen Thematik von Autorschaft interessiert sich Laric insbesondere für Forschungen, welche Auswirkungen auf die Lesart von Kunstwerken haben und bestehende Vorstellungen ändern oder korrigieren. Zu nennen sei hier nur das inzwischen verworfene Dogma, die Römer hätten griechische Statuen nur kopiert und keine eigenen künstlerischen Leistungen hervorgebracht.
Der sandalenbindende Hermes aus der Gipsabgusssammlung der Klassischen Archäologie an der Universität Wien ist eine römische Kopie nach einem griechischen Original. Von dieser populären Skulptur gibt es zahlreiche Versionen und variierende Posen, die ein Indiz für subjektive, von Zeitgeist, Mode und Geschmack abhängige Interpretationen sind. Dem Hermes zur Seite gestellt ist eine Statue aus dem 18. Jahrhundert aus dem Schönbrunner Schlosspark, die in gleicher Pose, lediglich als bekleidete Variante, den römischen Adeligen und Politiker Lucius Quinctius Cincinnatus darstellt. Ein weiteres formales Zwillingspaar sind die Skulpturen von Rudolf Schwaiger (1958) und Gertrude Fronius (1959) aus dem öffentlichen Raum, die beide verblüffend ähnlich den Topos der Mutter mit Kindern darstellen. Das Denkmal für Auguste Fickert (1855–1910), eine Pionierin der ersten Frauenbewegung, ist eines der wenigen in Wien, das einer Frau gewidmet ist. Zusammen mit einer Reihe von Tierskulpturen – sogenannten „Spielplastiken“ – aus den 1950er- und 1960er-Jahren erlauben die Werke aus dem öffentlichen Raum interessante Einblicke in die Kulturpolitik Wiens in den Jahren des Wirtschafts-wunders.
Die aus dem Jahr 1902 stammende Plastik Eisbär mit Robbe von Otto Jarl, die das Raubtier bei der Jagd zeigt, ist dagegen vom naturwissenschaftlichen Realismus geprägt und unterscheidet sich von den späteren, verniedlichenden Tierfiguren. An Realismus übertroffen wird der Eisbär von Krabben und Schalentieren, die auf gescannten Tierpräparaten beruhen, mit denen Laric auf das Naturabguss-verfahren der Spätrenaissance-Künstler Wenzel Jamnitzer und Bernard Palissy verweist. Auch der Fuß der Fanny Elßler, einer Wiener Ballerina, ist ein Lebendabguss (moulage sur nature) von 1847 aus dem Bestand des Theatermuseums und in der Ausstellung als 3D-Druck zu sehen. In diese Kategorie der Lebendabformungen fällt auch das einzige Relief der Ausstellung, eine Galvanoplastik, die zwölf Lebendmasken von FilmschauspielerInnen kompiliert.
Die aus dem öffentlichen Raum stammende Skulptur der Heiligen Veronika ist der einzige Kunstharzguss in der Ausstellung. Ihre schwarzweiße Marmorierung imitiert natürliche Steinformationen und die miteinander verschmelzenden Harzschichten können als Metapher für langsame Transformationen von Bildtraditionen gelesen werden. Das Attribut der Veronika, das Schweißtuch Christi, interessiert Laric darüber hinaus als ein Beispiel für das acheiropoíeton – das nicht von Menschenhand geschaffene Bild. Die Statue der Heiligen Veronika ist nicht das einzige Werk in der Ausstellung, das sich explizit mit Materialien und ihrer symbolischen Bedeutung auseinandersetzt: Der Jüngling vom Magdalensberg aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien, dessen Größe einen einteiligen Druck nicht erlaubt, wurde in sechs Teile zerlegt und aus unterschiedlichen weißen und transparenten Kunststoffen zusammengesetzt. Die spektakuläre Datierungsgeschichte des Jünglings, der lange für eine römische Originalbronze gehalten wurde und erst in den 1980er-Jahren nach wissenschaftlichen Materialanalysen als Kopie der Renaissancezeit erkannt wurde, machte ihn zu einem prädestinierten Objekt für Laric.
Über allem thront Beethoven – allein aufgrund seiner beeindruckenden Gesamthöhe von 2,60 Meter. Wie der Jüngling sprengt auch er die Bauraumgröße industrieller 3D-Drucker und musste daher aufwändig zerlegt werden. Laric übersetzte die farbige Monumentalskulptur von Max Klinger in eine aus 25 Einzelteilen bestehende reinweiße, 3D-gedruckte Skulptur. Es ist das bislang komplexeste und größte Objekt Larics und in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen ist die Geschichte der Skulptur untrennbar mit der Secession verbunden, da Klingers Beethoven hier 1902 in der legendären XIV. Kunstausstellung präsentiert wurde, für die auch Gustav Klimts berühmter Beethovenfries, seit 1986 wieder im Haus, entstand. Zum anderen gilt er als die erste polychrome Skulptur der Moderne, die unmittelbar an die Farbigkeit griechischer Plastiken anknüpfte. Aus technischer Sicht ist Larics Arbeit insofern spektakulär, als sie nicht auf einem 3D-Scan, sondern auf einem 3D-Modell beruht, das anhand fotografischer Abbildungen „manuell“ erstellt wurde.
Das zur Ausstellung erscheinende gleichnamige Künstlerbuch enthält alle Werke der Ausstellung mit genauen Angaben und Downloadlinks sowie weitere Objekte, die im Vorfeld der Ausstellung gescannt wurden. Es beinhaltet darüber hinaus eine Chronik der 3D-Entwicklung, die 1860 mit François Willème beginnt und mit einem Ausblick auf den globalen Markt für 3D-Scans im Jahr 2020 endet; darüber hinaus eine Bildstrecke mit Renderings der Beethovenstatue aus einem Online-Wettbewerb sowie eine Stellungnahme zum Urheberrecht eines auf Online-Rechtsfragen spezialisierten Juristen.
Zwei kleine Interventionen ergänzen das komplexe Projekt: Für die Dauer der Ausstellung wird das ansonsten bestehende Fotografierverbot im Beethovenfries aufgehoben und aufmerksame BesucherInnen werden die Beethovenstatue aus dem Hauptraum als Miniatur im Modell der Beethovenausstellung von 1902 wiederfinden – in aller Detailtreue.
geboren 1981 in Innsbruck, lebt und arbeitet in Berlin.