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Nora Schultz
would you say this is the day?
27.6. – 1.9.2019

https://secession.at/items/uploads/images/1663166463_eR3DyrYSy3b.jpeg

Nora Schultz, would you say this is the day?, Ausstellungsansicht, Secession 2019, Foto: Iris Ranzinger, Courtesy the artist

Alltagsgegenstände, Sprache, Aufzeichnungssysteme und kulturelle Verschiebungen spielen in Schultz’ Arbeit ebenso eine Rolle wie die Beobachtung und kritische Involvierung des Ausstellungsraumes und der Künstlerin selbst als Produzentin der Arbeit. In ihren jüngsten Arbeiten kommen zudem verschiedene Kameras (GoPro, Videodrohne etc.) als automatisierte „Koproduzenten“ zum Einsatz, deren Beitrag zum kreativen Prozess Schultz allerdings nicht vollständig kontrollieren kann, da sie über eine eigene Dynamik verfügen und die Position der Künstlerin/Autorin während ihres Einsatzes immer wieder hinterfragen. In performativen Interaktionen entwickelt Schultz oft große Installationen, die die Strukturen des Raums mit einbeziehen, ihn komplett vereinnahmen und manchmal über seine Grenzen hinausragen.

 

Die Ausstellung in der Secession verwirklicht ein vielschichtiges Proposal, das Schultz in der begleitenden, selbst entworfenen Publikation veröffentlicht, und das in einem Schuber sechs Poster und fünf Magazine inklusive eines Proposal-Texts umfasst. Außerdem wurde in mehreren Schritten ein Kalenderblatt transformiert, um Pläne oder Instruktionen für eine Dreidimensionalisierung von Atlas / Der Tag in der Secession zu entwerfen.

 

Die Ausstellung befindet sich auf einem Weg zwischen Konzept, Simulation und Verwirklichung. Sie wird durch einen Luftzug animiert, den eine Öffnung im Raum ermöglicht bzw. durch Wellenströmungen in einem festen System – die Klimaanlage – wenn die Tür geschlossen ist. Distanz wird in would you say this is the day? zum Produktionsmittel. Die sorgfältige Ausführung der Anweisungen, Zeichnungen, Visualisierungen und Notationen des Konzepts ergibt eine Wanderausstellung mit einer umfassenden Installation, in Der Atlas und Der Tag die zentralen Protagonisten sind.

 

Die anlässlich der Ausstellung realisierte Installation would you say this is the day? besteht aus mehreren individuellen Elementen, die mit den spezifischen architektonischen und örtlichen Gegebenheiten des Ausstellungsraums spielen und sich förmlich in diesen einschreiben.

 

Zum einen sind da drei im Raum verteilte vom Boden bis zur Decke reichende Skulpturen aus Aluminiumdraht (Atlas / The Day 1, 2 und 3). Ihre offene Form lässt abstrakte räumliche Zeichnungen entstehen, die dort, wo sie stehen, den Blick in die sonst verborgene Ebene über der Glasdecke eröffnen. Diese verkörpern unterschiedliche Verräumlichungsschritte eines von der Künstlerin gefundenen Kalenderblatts und seines Ordnungsrasters. Zugleich stellen sie ihre künstlerische Interpretation der skulpturalen Vorbildfiguren Atlas und Der Tag dar. Die Umsetzung der Skulpturen vor Ort erforderte die enge Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen der in den USA verweilenden Künstlerin und Kuratorin und Installationsteam in der Secession. Als Vorlage dienten einerseits von Nora Schultz angefertigte Zeichnungen, die in der von ihr konzipierten und gestalteten Publikation veröffentlicht sind, und eigens hierfür gebaute Modelle. Auf täglicher Basis diskutierten die aus der Distanz zusammen­wirkenden Beteiligten den Prozess und glichen die Gestaltung fortlaufend miteinander ab.

 

Das Sujet des besagten Kalenderblatts, das mit handgezeichneten Gesichtern geschmückt ist – eine Art subjektiven Eingriffs, der das Ordnungssystem durchbricht – wurde von der Künstlerin bearbeitet, um dem zeitlichen Rahmen einen räumlichen hinzuzufügen und ist als 3 x 6 m große, an der linken Stirnwand angebrachte Tapete (Hopes and Dreams, 2019) zu sehen. Im Einklang mit dem Raster des Raums und mit seinen gekrümmten Linien zugleich davon abweichend, bestimmt er den Gesamteindruck mit.

 

Weiters sind zwei neue Videoarbeiten – Whale Watch und Simulated Whale Watch (beide 2019) – in den Seitenschiffen zu sehen. Während erstere einen Bootsausflug zum Zwecke des Sichtens von Walen an der Ostküste der USA vor Boston (mit einigen Verfremdungen) dokumentiert, wurde Simulated Whale Watch im Atelier der Künstlerin mit einer GoPro-Kamera nach einem Drehbuch gefilmt. Die Künstlerin gab hier die Kontrolle darüber ein Stück weit ab: durch die Wahl der Kamera selbst, die keinen Monitor hat, aber auch durch die Art des Filmens mit der auf einer langen Stange befestigten Kamera – einer Art Verlängerung der filmenden Hand.

 

Die Soundinstallation The Sound will be Untied bildet eine Art unsichtbare Klammer, die den Raum fasst und die Installation mit dem Außenraum (performativ) verbindet. Die Grundlage hierfür sind Aufnahmen des konstanten Surrens der Klimaanlage im Studio der Künstlerin in Boston. Die bereits erwähnten Zeichnungen für die Umsetzung der Skulpturen wie auch gezeichnete Notationen der Künstlerin, die sich ebenso in der Publikation wiederfinden, dienten als Partitur für die (abstrakte) Komposition. Die Türe zum Garten hinter der Secession ist während der Öffnungszeiten geöffnet, so dass die Geräusche der Umgebung in den Raum dringen können und die Komposition der Künstlerin erst komplettieren. Der sonst geschlossene Raum der Institution – eine Art geschlossenes System oder Kreislauf – wird aufgebrochen und vermischt. Nur in der Nacht, wenn alle BesucherInnen das Gebäude verlassen haben, verschließt sich der Kreis, wenn der Sound der Klimaanlage der Künstlerin und jener der Secession, die zur Kühlung über Nacht angeschaltet wird, sich überlagern.

 

Allen Elementen gemein ist der Versuch, sich aus der Distanz, der geografisch realen beispielsweise – oder aber aus jener auf die reine Vorstellung oder Erinnerung basierenden Distanzierung – einem Raum-Zeit-Körper anzunähern, diesen zu erfassen zu suchen und dieses System, dann künstlerisch-subjektiv gefiltert und manipuliert, wiederzugeben.




Künstler*innen
Nora Schultz

geboren 1975 in Frankfurt am Main, studierte an der Städelschule in Frankfurt und am Bard College in New York und lebt derzeit in Boston.

Programmiert vom Vorstand der Secession

Kuratiert von
Jeanette Pacher (Secession)

Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07