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Gruppenausstellung
Mutatis Mutandis
29.6. – 2.9.2012

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Mutatis Mutandis, Andrea Branzi, Grandi Legni, GL 13, Grandi Legni GL 19, 2009, Installationsansicht, Secession 2012, Foto: Oliver Ottenschläger

Mutatis Mutandis versammelt eine Reihe von Werken, die die komplexen Beziehungen zwischen aktuellen Geschehnissen, Materialität, Geschichte und Erinnerung ausloten und mögliche Re-Präsentationen vorstellen. Diskontinuierliche Erzählungen sowie formale und mentale Strategien zur Neuaufbereitung von Informationen und Bildern dienen dabei der Auseinandersetzung mit der Funktionsweise sichtbarer und unsichtbarer Strukturen und Netzwerke. Ebenso hinterfragen sie durch ihren bisweilen paradoxen Gebrauch moderner und traditioneller Medien das komplexe Geflecht heutiger Subjektivitäten.

 

Babak Afrassiabi
Babak Afrassiabi verwendet als bildender Künstler unterschiedliche Formate wie Video, Objekte und Text. Häufig arbeitet er gemeinsam mit Nasrin Tabatabai, mit der er auch ein zweisprachiges Magazin in Farsi und Englisch herausgibt. Unter dem Namen Pages realisieren Afrassiabi und Tabatabai seit 2004 Projekte, die auf Recherchen zu den historischen Bedingungen von Politik und kultureller Produktion basieren und untersuchen, wie Kunst diese neu formuliert.
Ihr Film Thicker than Paint Thinner, 2011, beruht auf einer wahren Begebenheit und erzählt von einem ehemaligen Drogenabhängigen namens Hossein, der zum Revolutionär geworden ist und wenige Monate vor der islamischen Revolution 1979 das Rex-Kino in Abadan (Iran) in Brand steckt; fast 400 Menschen kommen dabei ums Leben. Der Film nimmt ebenso Bezug auf Seyyed, die Hauptfigur in dem Film Gavaznha (Masoud Kimiai, 1974), welcher zur Zeit des Vorfalls im Kino lief. Dieser Film im Film handelt ebenfalls von einem Drogenabhängigen, der sich politisch gegen das Regime engagiert und bei einem Schusswechsel mit der Staatspolizei ums Leben kommt. Der Film bleibt bruchstückhaft und springt zwischen Erinnerungsfetzen hin- und her, die durch die Figur Hosseins und seinen Kassettenrekorder zusammengehalten werden. Thematisch geht es um Geschichte, Märtyrertum, Wahrheit und das politisch Unbewusste des iranischen Kinos.

 

Edgar Arceneaux
“Basierend auf seinem Interesse an multiplen Bezugssystemen, konstruiert Edgar Arceneaux in den Zeichnungen, Installationen und Video- bzw. Filmarbeiten ein komplexes Geflecht aus Assoziationen, Konnotationen und veränderten Bedeutungsebenen, um eine konventionelle und lineare Narration zu untergraben. In einem Experimentierfeld aus Gegenüberstellungen, Durchbrechungen und Zusammenführungen unterschiedlicher Perspektiven werden allgemeingültige Codes aufgebrochen und gewohnte Wahrnehmungsmuster aus dem Gleichgewicht gebracht. Arceneaux untersucht die Grenzen unseres Wissens und sucht nach Möglichkeiten, diese Grenzen zu erweitern. Genau an den Schnittstellen von Dauerhaftem und Vergänglichem, Bild und Text sowie Abstraktion und Figuration versucht er die Bedingungen des Menschseins auszumachen. Sein assoziatives Vorgehen an solch große und undurchschaubare Themen nimmt oftmals phantasmatische Formen und groteske Konstellationen an. Hierdurch schafft er Raum für die BetrachterInnen, sich aktiv in die Suche nach den tief verwurzelten Verbindungen zwischen antiker, universeller und gegenwärtigen Geschichte einzubringen.”
Nikola Dietrich, Pressemitteilung zur Ausstellung Hopelessness Freezes Time—1967 Detroit Riots, Detroit Techno and Michael Heizer’s Dragged Mass
Edgar Arceneaux über seine Arbeiten in der Secession: “Der fruchtbarste Weg, die Installation Hopelessness Freezes Time zu erkunden ist es, quer durch den Raum von einem Werk zum nächsten zu wandern. So werden Muster und Parallelen in den unterschiedlichen Arbeiten sichtbar, die sowohl die Totalität und als auch die Feinheiten ihrer historischen Verbindungen beschreiben. Das Schaffen von Verbindungen und die Darstellung von Affinitäten zwischen augenscheinlich unterschiedlichen Geschichten zeigen die Wirklichkeiten der modernen Realität auf und sind der Beweis für unsere flüchtige Gegenwart ebenso wie für unsere primitive Vergangenheit.”

 

Hany Armanious
Hany Armanious’ bildhauerische Praxis beruht auf dem Verfahren des Abgusses. Mit großer Akribie stellt der Künstler Kopien von Alltagsobjekten aus unvermuteten Materialien her. Seine Polyurethanharzabgüsse bilden sogar den Verschleiß der ursprünglichen Objekte ab. Indem er das Prozesshafte und Haptische ästhetischen Gesichtspunkten vorzieht, wird der Abguss für ihn zu einer Methode, einzigartige Gegenstände zu kopieren, während die Originale oft zerstört werden. Die in eigenwilligen Ensembles arrangierten Arbeiten sollen den Betrachter zum längeren Verweilen einladen.
“Despite the primacy of the selection and labour-intensive casting process, Armanious’ sculptures manage to look as if they pre-exist, the chosen objects having found their way together on their own in some other, metaphysical space. They do this whilst embodying the inherent improbability in what is assembled and the contradictory material truth of what appears to be presented – they remain an approximation of that which they represent. Armanious’ practice has an affiliation with traditional concerns of painting, the representation of forms from ‘real life’ […].”
Aus dem Pressetext zur Ausstellung The Plagiarist of my Subconscious, 2012, Southard Reid, London

 

Louidgi Beltrame
In Louidgi Beltrames Werk geht es um eine Dekonstruktion der formalen und narrativen Strukturen des Kinos. Er verbindet Dokumentation, Fiktion und Architektur, indem er sorgfältig das System der Analogien zwischen der Sprache der Architektur und der Sprache des Kinos herausarbeitet. Im Rahmen seiner Projekte hat der Künstler hierzu architektonisch bedeutsame Orte erkundet, die etwa nach dem Abwurf einer Atombombe (Hiroshima) oder als architektonische bzw. stadtplanerische Utopien (Brasilia, Chandigarh) entstanden sind.
Der Film Cinelândia (2012) wurde im Dschungel von Tijuca in der Nähe von Rio de Janeiro gedreht; hier baute Oscar Niemeyer mit der Casa de Canoas (1951–1953) einen Wohnsitz für seine Familie, den er jedoch bereits nach wenigen Jahren leer stehen ließ. Der gut erhaltene Glaspavillon ist hier als Projektionsfläche für Projekte des Architekten und Fiktionen des Dschungels und seiner Mythologien konzipiert. Eine Stimme aus dem Off liefert das Grundgerüst des Films: Sie liest Auszüge aus Tecnicamente Dolce vor, einem nie verfilmten Drehbuch von Antonioni aus den 1970er-Jahren.

 

Elisabetta Benassi
Zu Elisabetta Benassis Arbeiten zählen äußerst gefühlsgeladene Installationen, Fotografien, Performances und Videos, die vielfältige Bezüge zu Literatur, Film, Psychoanalyse und Politik herstellen. Im Zentrum von Memorie di un Cieco(Erinnerungen eines Blinden, 2010) steht ein umgebautes Lesegerät für Mikrofilme, das sich auf einem vom Studio BBPR für Olivetti entworfenen Bürotisch aus der ARCO-Serie der 1960er-Jahre befindet. Die Wände ringsum sind grau gestrichen, der Saal scheint erst vor kurzem geräumt worden zu sein. Es sieht aus, als sei alles um das Gerät herum plötzlich verschwunden. BetrachterInnen und Film sind die einzigen Farbelemente.
“Titelgebend für All I Remember (2010) war ein nie veröffentlichter Roman von Gertrude Stein, der auf der Rückseite eines Porträtfotos der Schriftstellerin erwähnt wird. Die Arbeit erzählt die Geschichte des 20. Jahrhunderts ausgehend von Notizen, Stempeln und Zeichen auf der Rückseite von Archivbildern, die aus Zeitungs- oder Agenturarchiven stammen. Sie wurden von der Künstlerin in Zusammenarbeit mit einem Designer von Banknoten sorgfältig von Hand kopiert.”
All I Remember”, Interview mit Cloe Piccoli, in All I Remember, Ausstellungskatalog Magazzino d’Arte Moderna, Rom, 2010.

 

Andrea Branzi
Andrea Branzi ist einer der wichtigsten Avantgarde-Künstler auf dem Gebiet von experimentellem Design und Produktgestaltung und zählt zu den Vertretern der radikalen Architektur in Italien. 1964 war er Mitbegründer von Archizoom Associati; in den 1980er-Jahren gehörte er zum Umfeld des Studio Alchymia und der Memphis-Gruppe. Seine Arbeiten stehen im Spannungsfeld von Architektur, Städteplanung und Theoriebildung.
Die Assemblagen der Werkgruppe Grandi Legni (2009) setzen Branzis intensive Beschäftigung mit jenen Archetypen fort, die uns umgeben und die Komplexität der heutigen Welt prägen. Seine Arbeiten, konzipiert zwischen architektonischen Installationen und Alltagsobjekten, thematisieren vor allem historische Ikonographien, Technik und das Aufeinandertreffen von Moderne und Antike.

 

Luke Fowler
Fowlers Installationen setzen sich mit den komplexen historischen Verflechtungen von Ort, Ton und Film auseinander und loten die Möglichkeiten eines konstruktiven Dialogs zwischen Sehen und Hören aus. Fowler untersucht häufig die Grenzen dokumentarischen Filmschaffens, indem er neues Filmmaterial und Archivaufnahmen, Interviews und Fotografie vereint, zugleich jedoch großen Wert auf den Ton und seine soziale Bedeutung legt.
All Divided Selves (2011) stützt sich auf Archiv-Darstellungen des berühmten Psychiaters R. D. Laing und seiner Kollegen; sie traten dafür ein, dass das soziale Umfeld und gestörte Interaktionen in Institutionen als signifikante Faktoren bei der Entstehung von menschlichen Ängsten und Leid anerkannt werden.

 

Suzanne Treister
“Als Digitalkünstlerin der ersten Stunde interessierte sie sich schon immer für die futuristischen Möglichkeiten von Hard- und Software und entwickelte 1995 einen Avatar namens Rosalind Brodsky […]. Paranoide Strukturen sind bekanntermaßen schwer von rationalen Interpretationsformen zu trennen, wie Freud und Lacan in ihren psychoanalytischen Studien gezeigt haben. Im Zeitalter des Internets sind Treisters Arbeiten aufgrund ihres Interesses an Technikgeschichte, dem militärisch-industriellen Komplex sowie dem magischen Denken über das Okkulte ein wichtiger Spiegel unseres verschrobenen und vernetzten Seins.”
Einleitung zu “What Happens in the Gaps: An Interview with Suzanne Treister by Roger Luckhurst,” 2009, http://ensemble.va.com.au/Treister/info/Interviews/Treister_Luckhurst.html

 


Suzanne Treister über ihre Arbeiten in der Secession:
Alchemy is series of works which transcribe front pages of international daily newspapers into alchemical drawings, reframing the world as a place animated by strange forces, powers and belief systems. These works redeploy the languages and intentions of alchemy: the transmutation of materials and essences and the revealed understanding of the world as a text, as a realm of powers and correspondences which, if properly understood, will allow man to take on transformative power.
HEXEN 2.0 looks into histories of scientific research behind government programmes of mass control, investigating parallel histories of countercultural and grass roots movements. HEXEN 2.0 charts, within a framework of post-WWII U.S. governmental and military imperatives, the coming together of scientific and social sciences through the development of cybernetics, the history of the internet, the rise of Web 2.0 and increased intelligence gathering, and implications for the future of new systems of societal manipulation towards a control society.




Künstler*innen
Babak Afrassiabi

geboren 1969 im Iran, lebt und arbeitet in Rotterdam.

Edgar Arceneaux

geboren 1972 in Los Angeles, lebt und arbeitet in Los Angeles

Hany Armanious

geboren 1962 in Ismalia (EG), lebt und arbeitet in Sydney.

Louidgi Beltrame

geboren 1971 in Marseille, lebt und arbeitet in Paris.

Elisabetta Benassi

geboren 1966 in Rom, lebt und arbeitet in Rom.

Andrea Branzi

geboren 1938 in Florenz, lebt und arbeitet in Mailand.

Luke Fowler

geboren 1978 in Glasgow, lebt und arbeitet in Glasgow.

Suzanne Treister

geboren 1958 in London, lebt und arbeitet in London.

Programmiert vom Vorstand der Secession


Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07