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Mimi Ọnụọha
Soft Zeros
29.11.2025 – 22.2.2026

Mimi Ọnụọha, no one told me, 2025, Ausstellungsansicht Soft Zeros, Secession 2025. Foto: Sophie Pölzl

Mimi Ọnụọha, no one told me, 2025, Ausstellungsansicht Soft Zeros, Secession 2025. Foto: Sophie Pölzl

Was können wir in einem Zeitalter der Hyper­visibilität eigentlich noch über uns selbst und unsere Geschichten wissen, wenn Algorithmen und gesellschaftliche Strukturen nicht nur bestimmen, was wahrgenommen wird, sondern auch, was in die Unsichtbarkeit oder Bedeutungslosigkeit abgedrängt wird?

 

In Soft Zeros untersucht Mimi Ọnụọha die Unzuverlässigkeit von Archiven und die Instabilität von Wissen und erforscht, wie Abwesenheit und Schweigen geprägt von algorithmischer Voreingenommenheit, historischem Verdrängen und kollektivem Vergessen bedeutsam werden. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was nicht gesammelt, erfragt, zugelassen oder dargestellt wurde.

 

Einige Statistiker*innen verwenden den Begriff „soft zero“ für Werte, die als Nichts erscheinen, als Abwesenheit oder Inaktivität gelesen werden, ohne dass erwiesen wäre, dass es das, wofür sie stehen, tatsächlich nicht gibt. Ein Datensatz, der keinerlei Einträge zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe aufweist, belegt nicht, dass diese Gruppe abwesend ist, sondern nur, dass sie nicht erfasst wurde. Für Ọnụọha ist die „soft zero“ eine Metapher für Macht und Unsichtbarkeit in Datensystemen, die veranschaulicht, wie Leere selbst politisch hergestellt wird. Zudem generieren sprachbasierte Werkzeuge wie ChatGPT Wissen aus existierenden Datensätzen und reproduzieren so linguistische Vorprägungen und einseitige Kanons – sie begünstigen englischsprachige, westliche und institutionelle Sichtweisen, während sie informelle, queere, dekoloniale und spekulative Perspektiven marginalisieren. Weil solche Systeme darauf trainiert sind, „hilfreich“ zu sein, stützen sie den Status quo, statt ihn zu hinterfragen.

 

Ọnụọha dagegen versucht, neue Formen von Daten hervorzubringen, die das systematisch Ausgeschlossene sichtbar machen. Der dokufiktionale Film Ground Truths (2025), der das Herz der Ausstellung bildet, zeichnet den Versuch der Künstlerin nach, ein maschinelles Lernmodell darin zu trainieren, potenziell in Texas befindliche Massengräber zu identifizieren. Was als technisches Experiment begann, entfaltet sich zu einer Reflexion auf die Grenzen der kollektiven Erinnerung – auf das, was wir dokumentieren, was wir uns ins Gedächtnis rufen und über was wir Gras wachsen lassen.

 

Wie alle neu produzierten Arbeiten in Soft Zeros reagiert Ground Truths auf das Schweigen und Nichtwissenwollen, das die Geschichte der sogenannten „Sugar Land 95“ prägt; ohne unmittelbar sichtbar zu sein, ist sie auf geradezu unheimliche Weise präsent. Mit „Sugar Land 95“ sind die sterblichen Überreste von 95 Schwarzen Menschen gemeint, die 2018 während der Bauarbeiten für eine neue Schule in Sugar Land (Texas) nicht weit von Ọnụọhas Elternhaus entdeckt wurden. Sie waren im Rahmen des sogenannten Convict-Leasing-Systems zur Arbeit gezwungen worden, einer Art Leibeigenschaft, die nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei eingeführt wurde. In diesem System wurden Amerikaner*innen – insbesondere, aber nicht nur Schwarze – aufgrund oftmals erfundener Anschuldigungen festgenommen und als billige Arbeitskräfte an Privatunternehmen verpachtet. Die Überreste gehörten zu Gefangenen, die auf der Imperial State Prison Farm arbeiteten und Zucker für die regionalen Industrien produzierten, daher der Name „Sugar Land“.

 

Zu diesen Menschen existierten kaum offizielle Dokumente; weder ihr Tod und noch ihre Identitäten hatten in den öffentlichen Archiven Spuren hinterlassen. Ihre Auffindung wirft ein Schlaglicht darauf, wie institutionelle Systeme Auslöschung produzieren. Die Geschichte der Sugar Land 95 offenbart die Kontinuität zwischen der Sklaverei und der Gefängnisindustrie von heute. Der 13. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung legalisierte Zwangsarbeit und ermöglichte es so den Bundesstaaten, Schwarze Menschen erneut zu versklaven und andere für „unerwünscht“ erklärte Gruppen mittels massenhafter Verhaftungen zu kriminalisieren. In den USA besteht dieses Erbe auch heute noch fort: Die Inhaftierungsquote Schwarzer Männer bleibt unverhältnismäßig hoch und in manchen Staaten des Südens betreiben Gefängnisse noch immer Einrichtungen auf ehemaligem Plantagenland. In Soft Zeros thematisiert Ọnụọha die Sugar Land 95 stellvertretend für all die Gewalt und Unterdrückung, die durch vorsätzliches kollektives Vergessen zum Verschwinden gebracht werden kann – und erinnert so daran, dass, was einmal begraben ist, auch wieder zu Tage treten kann.

 

In everything you bury will come back up again (2025) zeigen zwei große Fotografien – eine an der Wand, eine auf dem Boden – Hände, die in der Erde wühlen. Es bleibt unklar, ob sie die erkennbaren Gegenstände vergraben oder ans Licht fördern: ein altmodischer Sack, in dem verarbeiteter Zucker verladen wurde, und zwei handgeschnitzte hölzerne Würfel aus dem 19. Jahrhundert – die einzigen bei der Ausgrabung gefundenen persönlichen Gegenstände, aus denen die Sugar Land 95 nicht als Gefangene, sondern als Menschen sprechen. Umgeben ist die Arbeit von einem Absperrband, bedruckt mit Phrasen, mit denen Menschen ihrer Mitschuld ausweichen. Diese Geste klingt auch im Titel der Arbeit no one told me (2025) an – einer von mehreren Ausdrücken, die Leugnung an die Stelle von Verantwortung setzen. In we don’t talk about that (2025) bezieht sich Onuoha mit einem kleinen, mit Kunstrasen überzogenen Hügel ironisch auf die größeren Strukturen, die gesellschaftliche und historische Unsichtbarkeit produzieren: als absurde Hommage an das, was man nicht sieht, obwohl man es direkt vor der Nase hat. Er lässt an die sorgfältig gepflegte Oberfläche vorstädtischer Wohnlandschaften denken, unter der Gewalt und Auslöschung buchstäblich begraben liegen.

 

Mit ihrer forschungsbasierten Praxis fragt Ọnụọha letztlich, welche Wissensformen uns in einem von Desinformation und Polarisierung geprägten Umfeld vorenthalten werden – und welche Rolle wir bei diesem Vergessen spielen. Sie schreibt: „Die Gegenwart aufzuarbeiten bedeutet, lesen zu lernen, was scheinbar nicht da ist.“

 

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Künstler*innen
Mimi Ọnụọha

geboren 1989 in Italien, lebt in New York.

Programmiert vom Vorstand der Secession

Kuratiert von
Jeanette Pacher

Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07