Michael E. Smith
21.2. – 6.9.2020
Michael E. Smith produziert Skulpturen, Installationen, Objekt-Collagen und Videos; er setzt zum Teil interaktive Klanginstallationen ein und versteht den jeweiligen Ausstellungsraum als aktiven Dialogpartner bei der Entstehung der Ausstellung. Seine Installationen eröffnen einen Erfahrungsraum, der weit mehr als nur unseren Sehsinn anspricht. Er bezieht immaterielle Komponenten wie Licht, Geräusche und gewohnheitsmäßige Abläufe ein und zielt auf die Schärfung der Wahrnehmung insgesamt.
Die Entwicklung neuer Arbeiten und Ausstellungen beginnt für gewöhnlich im Atelier, wo der Künstler zunächst „Materialskizzen“ erstellt: Lose Arrangements, in denen er die Gegenstände hinsichtlich ihres Potentials als Bedeutungsträger testet. Erst während er die Werke im jeweiligen Ausstellungskontext installiert, finalisiert er sie, und viele Arbeiten nehmen überhaupt erst in dieser Phase konkrete Form an oder entstehen spontan. Seine Ausstellungen zeichnen sich durch den sparsamen Einsatz der Mittel und das Wissen um die Ausdruckskraft formaler Beziehungen aus. Mit gezielt platzierten Werken baut er einen Spannungsbogen zwischen den Objekten, ihrem Umgebungsraum und seinen mitunter auch immateriellen Interventionen auf. Die Konzentration auf wenige Objekte im Raum erzeugt den Eindruck von Weite und Leere, die – als Metaphern für die Einsamkeit und das Ausgesetzsein des Menschen überhaupt – den einzelnen Werken größere Bedeutung verleihen und zugleich integraler Teil der Arbeiten werden.
Smiths Umgang mit der gegebenen Architektur, dem Raum, in dem die Werke sich entfalten, verdient besondere Beachtung. Die Werke sind wie Spuren: Sie verweisen auf die Präsenz eines bestimmten Menschen an einem bestimmten Ort, wodurch eine Ausstellung zu einem phänomenologischen Ereignis – und einzigartig – wird. Mittels einfacher Eingriffe wie der Veränderung der üblichen Lichtverhältnisse durch Dimmen oder Entfernen von Lampen erzeugt der Künstler minimale Störungen im System des Gewohnten. Subtile Interventionen, etwa das Entfernen von Türgriffen etwa, verändern Abläufe, Wege, Funktionen und führen zur Sensibilisierung sowohl der BesucherInnen als auch der vor Ort arbeitenden Menschen. Mitunter zeigt er Objekte in Bereichen, die nicht öffentlich zugänglich sind und den Ausstellungsraum so zumindest gedanklich aufbrechen sowie Fragen nach Öffentlichkeit (Publikum) ebenso aufwerfen wie nach den Grenzen der Kunst und ihrer Institutionen.
Die Skulpturen und Objekt-Collagen sind meist aus wenigen Elementen zusammengesetzt oder stehen manchmal überhaupt wie Ready-Mades für sich. Smith arbeitet mit vorgefundenen, gebrauchten, ausrangierten und teilweise kaputten Gegenständen des Alltagslebens wie beispielsweise Möbeln, Kleidungsstücken und Elektronikartikeln. Häufig kombiniert er diese Elemente mit organischen Versatzstücken, in erster Linie präparierten Tieren beziehungsweise Tierteilen und Knochen, auch menschlichen Ursprungs. Generell steht der menschliche Körper beziehungsweise seine Abwesenheit im Zentrum der Arbeiten. Präsenz und Absenz, Bewegung und Stillstand, Schwere und Leichtigkeit wechseln sich ab, ergänzen oder überlagern sich.
In seinen skurrilen und bisweilen schockierenden Assemblagen erzeugt Smith zunächst einen düsteren, fast tragischen Grundton. Allerdings sind die Arbeiten voller Nuancen, die auch anderen Tönen Raum zugestehen. Kunst selbst ist eine komplexe Sprache: jedes Ding, jede Handlung, jeder Ort ist bereits mit Geschichten und Bedeutung aufgeladen. Das vom Künstler aufgeschlagene Beziehungsdreieck Mensch-Objekt-Natur wird von ihm auf sehr spezifische Weise beschrieben und in seiner Komplexität und Rätselhaftigkeit anerkannt. Smith ist dabei ein scharfsinniger Humor zu eigen, der sich in ästhetischer Sensibilität und formalem Witz niederschlägt, etwa wenn er einen Plastiksessel mit dem Schädelknochen einer Meeresschildkröte verbindet, deren Formen frappierend ähnlich sind. Sein Ziel ist die Konzentration auf das Wesentliche, und seine Strategie ist Reduktion und größtmögliche Fokussierung.
Smiths künstlerische Arbeit löst mitunter Assoziationen zu Umweltzerstörung und dem Verschwinden von Lebensräumen – von Menschen und Tieren – aus. Sie verweist auf politische und soziale Erfahrungen, ökologische Krisen, kapitalistisches Konsumverhalten und Ressourcenverschwendung sowie auf Gewalt, Tod und soziale Ungerechtigkeit. Prägend ist bis heute seine Herkunft aus Detroit, einer Stadt, die prototypisch für den Niedergang der US-amerikanischen Industrie und der Arbeiterschicht ist, in der aber gleichzeitig seit jeher eine vielfältige Musik- und Alternativkulturszene blüht.
Für seine Ausstellung in der Secession, die das Grafische Kabinett im Obergeschoss und die Galerie im ersten Untergeschoss umfasst, entwickelt Smith neue Arbeiten, die an Ort und Stelle produziert beziehungsweise arrangiert, assembliert und installiert werden. An dieser Stelle können daher noch keine Aussagen über einzelne Werke oder gar die Ausstellung als Gesamtheit getroffen werden. Bekannt sind lediglich Materialien, die im Vorfeld auf Wunsch des Künstlers besorgt wurden oder die er mitbringt. Dazu zählen eine größere Anzahl gebrauchter Turbolüfter, die bei der Trockenlegung von Räumen und Gebäuden durch Luftzirkulation die Leistungsfähigkeit der Trocknungsgeräte erhöhen, Gesteinsbrocken aus dem Steinbruch, ein menschlicher Schädelknochen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, Kaninchenfelle, ein gebrauchter Couchsessel, leere Gitarrenkoffer und getrocknete Kürbisse.
Vielleicht lässt sich die Erfahrung von Smiths Arbeiten und Ausstellungen mit der in Brechts epischem Theater vergleichen. Darin ging es gerade nicht um die Katharsis durch die Kunst, Theater sollte eben nicht zu einer reinigenden und erlösenden Erfahrung führen, sondern die ZuschauerInnen aufrütteln, zu eigenständigem Denken führen und im echten Leben zum Handeln bewegen.
PS: Heute ist der 19. Februar 2020, ein Tag vor der Eröffnung. Tagsüber ist der Künstler vor Ort, um Ideen zu besprechen und einander abzustimmen. In der Nacht setzt für ihn die Phase eines hoch konzentrierten Arbeitens ein, während der er verschiedene Dinge ausprobiert: ein fortwährender Fluss des Hinzufügens und Wegnehmens, der ihn stetig näher an das von ihm erwünschte Resultat heranführt. Wenn dieser Prozess zu Ende ist, räumt er die Ergebnisse seiner nächtlichen Experimente weg, bevor die MitarbeiterInnen ins Haus kommen. Wenige, doch überlegt platzierte Objekte sind in den Ausstellungsräumen zu sehen. Der größere Teil der Ausstellung befindet sich in den Räumen im ersten Untergeschoss, der Galerie: Alle Fenster- und Türverbauungen wurden auf Wunsch des Künstlers entfernt, die Deckenbeleuchtung bleibt ausgeschaltet, nur der wetterabhängig mehr oder weniger schwache Schein des Tageslichts aus den spärlichen Fensteröffnungen und Streulicht von der Beleuchtung der allgemeinen Räume dringt in die Ausstellung. Zwischen dem ersten und dem zweiten Raum befindet sich eine magnetgesicherte Brandschutztür, die der Künstler mit drei der fünfzehn angeschafften Turbo-Ventilatoren zum Erbeben bringt. Sie machen einen ziemlichen Lärm und erzeugen einen kühlen Wind, der durch die Galerieräume weht. Der Wirbelsturm am Anfang der Geschichte des Zauberers von Oz stand hier Pate. Brotdosen, die auf halber Höhe an Türen und Heizkörpern „schweben“, wurden scheinbar von diesem Wirbel erfasst und in der Bewegung eingefroren. Tausende Kürbisstängel formen ein Symbol oder Logo, seltsam vertraut und doch schwer entzifferbar – es ist ein halbes Batman-Logo. Die Mitte verläuft genau entlang der Mittellinie im Terrazzoboden.
Links davon steht eine Tür offen, die in einen weiteren Raum führt, der in dieser Form erst seit der Renovierung 2018 besteht und dessen Funktion zwischen Ausstellungs- und Veranstaltungsraum nach wie vor offen, also irgendwie in der Schwebe ist. Hier hat Smith einen auf zwei Seiten umlaufenden roten Samtvorhang entfernt (die Hängevorrichtung verweist auf das, was jetzt fehlt), zwei Besprechungstische eingerichtet, einen Stapel Stühle, die im Bedarfsfall hier entnommen werden können, fein säuberlich auf einer fahrbaren Holzplatte in der Ecke platziert. Ein Stuhl steht einsam im Raum, auch hier ist das Licht ausgeschaltet – beinahe –, nur zwei LED-Lichtbalken leuchten in der kühlsten der möglichen Farbtemperaturen.
Überhaupt stand das Einrichten des Lichtsettings ganz am Anfang. Auch der Bereich vor der Galerie, wo sich das Secessions-Architekturmodell und Schautafeln zur Geschichte des Hauses befinden, wurde von einem warmen Ton in kaltes Weiß umprogrammiert, um das Kunstlicht mit dem von außen eindringenden Tageslicht in Einklang zu bringen. Eine in der Hälfte auseinandergeschnittene Lederjacke ist hier zwischen Wandpfeilern angenagelt, jeder schriftliche Verweis auf Smiths Ausstellung – normalerweise kündigt ein Namenszug an der Wand vor der Galerie diese an – fehlt.
Im Grafischen Kabinett begegnet uns eine an die Bildsprache von Comics angelehnte Skulptur. Aus den Augenhöhlen eines Schädelknochens ragen zwei Flaschenkürbisse und erzeugen eben diesen Comic-Effekt: umgangssprachlich als „einem die Augen raushauen“ beschrieben. Die verwendeten Kürbisse legen zudem Zeugnis ab von Smiths Kollaborationen. Er engagierte einen Bauern dafür, die Stängel der Kürbisernte eines gesamten Jahres abzuschneiden und zu trocknen. Der Stängel als Symbol der Abwesenheit eines Objekts — die Idee dazu kam Smith durch Zufall, als beim (Hallloween-)Kürbis eines seiner Kinder der Stängel abfiel. Auch die beiden Flaschenkürbisse mit ihren ungewöhnlich langen Hälsen sind Spezial-Pflanzungen für den Künstler: Sie wurden hängend gezogen, um den Hals möglichst lang und dünn wachsen zu lassen. Mit diesen Kollaborationen verbindet Smith auf fast schon versöhnliche Weise Welten, die sonst wenig miteinander zu tun haben.
Abschließend sei erwähnt: Das oben Beschriebene bleibt alles nur Spekulation. Morgen, zur Eröffnung, liegen die Dinge möglicherweise anders.
geboren 1977 in Detroit, lebt in Providence, Rhode Island, USA.