Martin Gostner
Kupferpfandl – und darüber
31.1. – 25.2.2001
Wenn in Science-Fiction-Filmen Zeitreisende sich in die Vergangenheit begeben, wird ihnen meist nahegelegt, dort nicht in das Geschehen einzugreifen: Die kleinste Veränderung könnte dazu führen, dass ihre Gegenwart nicht mehr zustande käme und damit jede Rückkehr unmöglich werde. Tatsächlich erweist sich die Gegenwart als vergleichsweise resistent gegenüber Manipulationen; sie könnte Resultat verschiedenster Vergangenheiten sein.
Von solchen Überlegungen ausgehend hat Martin Gostner die Wiener Adresse Friedrichstraße 12 einer zweiten Institution zugeteilt: Dort steht nicht mehr nur die Secession, sondern seit Jahrzehnten auch ein imaginäres “Gasthaus Kupferpfandl”, dessen im Stadtraum plakatiertes Veranstaltungsprogramm die Geschichte der Zweiten Republik reflektiert und begleitet. Als 1949 der V.d.U. vom Alliierten Rat anerkannt wird, lädt man ins Kupferpfandl zum “Besinnlichen Treffen”; während Konrad Lorenz 1973 in Stockholm den Nobelpreis für Medizin entgegennimmt, findet hier eine Kleintierschau statt; und zeitgleich zum Glykolskandal 1985 wirbt das Gasthaus: “Ein 1/4 für das Burgenland!” Und so durchschnittlich wie das Beisl sind seine Gäste: Ein im Café der Secession projiziertes Video Gostners zeigt, wie sie eher zufällig eine über dem Gastzimmer gelegene Wohnung betreten, sich erst neugierig umsehen, dann herumstöbern und schließlich den Raum verwüsten, während nach dem Ende der Zerstörung aus einem Radio Ö3 unbeeindruckt gute Laune verbreitet.
Möglichkeiten zu benennen statt Wahrheiten zu postulieren – diesen Ansatz verfolgt Gostner immer wieder mit seinen Arbeiten. Den Plakaten ähnlich sind darin die Anfang der 1990er-Jahre entstandenen “Legenden”, maschinengeschriebene Lebensläufe fiktiver Künstler, die sich als Beilagen zu Bewerbungsschreiben vorstellen lassen. Stereotype des Scheiterns und Erfolgs im Mittelmaß garantieren die Plausibilität dieser Biographien ebenso wie ihre Wiedererkennbarkeit – leicht lassen sich Motive eigener Geschichte darin finden, die damit retrospektiv zum unsicheren Terrain wird: Wenn Erinnertes und Vergessenes zwei Teilmengen der Vergangenheit sind, wird die Erzählung davon zu einer Funktion mit Variablen und immer wieder wechselnden Ergebnissen.
Seine Arbeit für die Secession wendet diese Methode auf das kulturelle Gedächtnis eines ganzen Landes an. Wo die Politik der Gedenkveranstaltungen aus der Historie immer noch und immer wieder eine mythische nationale Identität konstruiert, legen Gostners Fragmente der Geschichte eines Beisls frei, was sich hinter der angestrengt behaupteten Fassade eines österreichischen Sonderstatus verbirgt: Mitläufertum, Indifferenz und die notorische Unfähigkeit, auf Verschiedenheit und Abweichungen anders zu reagieren als repressiv oder ignorant. Große Politik und der Alltag der kleinen Leute bedingen einander, das Granteln über “die da oben” ist dabei gleichzeitig Preis und Lohn für die bequeme Verantwortungslosigkeit.
Gostner vermeidet bei seiner Arbeit jeden aufklärerischen Gestus: Der Eingriff in das Geschehen ist wohl möglich, aber muss stets neu ge- und erfunden werden. An die Stelle einer linearen Geschichte rücken bei ihm Geschichten der Umwege, Abweichungen, Subtexte: “Ich verstehe Geschichte nicht als Geschichtsschreibung, als das, was war. (…) Wenn man Geschichte als plastisches Objekt sehen würde, dann leuchte ich es aus einem bestimmten Winkel an und sehe. Im Moment: erinnere ich mich, stelle ich mir vor.”
geboren 1957, lebt und arbeitet in Innsbruck.