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Marc Camille Chaimowicz
20.11.2009 – 24.1.2010

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Marc Camille Chaimowicz, Ausstellungsansicht, Secession 2009, Foto: Wolfgang Thaler

Eine Bodenlandschaft aus Teppichen mit floralen und abstrakt-ornamentalen Mustern in zarten Pastelltönen breitet sich im lichtdurchfluteten White Cube der Secession aus. Die großformatigen, asymmetrischen Teppiche liegen auf unterschiedlich hohen und sowohl horizontal als auch vertikal schiefwinkeligen Podesten, die die Funktionalität der getufteten Teppiche als Gebrauchsobjekte infrage stellen und diese gleichzeitig in den Status eines autonomen Kunstwerks zu erheben scheinen. Auf und neben den Teppichen ist eine Vielzahl fragiler Sonnenschirmchen mit unterschiedlich gemusterten Stoffbespannungen arrangiert. Die Seitenwände zieren Wandgestaltungen, deren filigrane Muster und Farbpalette die Handschrift des Künstlers Marc Camille Chaimowicz verraten. Ein Theatervorhang sowie der Mies van der Rohe gewidmete Curtain (For MvdR) der letzten Berlin Biennale (2008) setzen vertikale Akzente im Raum. Locker verteilt sind einige Möbelstücke und ein Gemälde in zehn Teilen …

 

n diesem speziell für die Secession geschaffenen Interieur aus vornehmlich neu produzierten Arbeiten ist die Quintessenz eines facettenreichen künstlerischen Schaffens enthalten. Ausgehend von Performances und Installationen in den 1970er-Jahren bis hin zu Entwürfen für Möbel, Keramiken und Muster für seriell produzierte Gebrauchsgegenstände entwickelte Marc Camille Chaimowicz im Lauf der letzten vier Jahrzehnte eine unverkennbare Formensprache und künstlerische Handschrift. Das Bekenntnis zu Schönheit und Leichtigkeit, Eleganz und kultiviertem Lebensstil kommt in seiner Vorliebe für elegant geschwungene Linien, grazile Formen und seiner charakteristischen Farbpalette aus zarten Pastelltönen zum Ausdruck. In dieser Vorliebe für „Zwischentöne“ spiegelt sich die Ambiguität des künstlerischen Werkes wider, das immer irgendwie „dazwischen“ angesiedelt ist.

 

Chaimowicz löst in den wie er es nennt, „Choreografien“ das hierarchische Verhältnis zwischen angewandter und bildender Kunst lustvoll auf. Seine Musterentwürfe scheinen dem malerischen Vokabular der Moderne, insbesondere der französischen Malerei, deren Erbe er sich verbunden fühlt, zu entstammen. Ihren Einsatz finden sie als Muster für Tapeten, Teppiche und textile Produkte. Sie überziehen aber wie in der Secession auch ganze Wände oder finden sich als gestalterische Elemente in seinen Publikationen. Seine Möbelskulpturen bewegen sich an der nicht immer eindeutig entscheidbaren Grenze zwischen Gebrauchs- und Kunstobjekt. Besonders deutlich wird das in der Ausstellung an den beiden Frisierkommoden Deux coiffeuses (peut-être pour adolescents), l’une habillée, l’une pas (2008), aber auch an Dual, einer Art Wendemöbel, das einerseits eine Liege und andererseits, um 90 Grad gewendet, ein Armlehnensessel ist.

 

Für seine aktuelle Ausstellung in der Secession bezieht sich Chaimowicz ganz bewusst auf einen längeren Aufenthalt in Wien im Jahr 1982 im Rahmen des Humanic-Artist-in-Residence-Programms. Seine Auseinandersetzung mit dem Kunsthandwerk der Wiener Werkstätte sowie der Wiener Architektur gaben ihm damals wichtige Anregungen. Das aus dieser Zeit stammende und in der Ausstellung vertretene Vienna Tryptich, Leaning … and Surrounded by Chorus Girls and Sentinels … (1982) ist in der formalen Reduktion auf die zweidimensionale Fläche paradigmatisch für seine Entwicklung hin zu formal-ästhetisch verdichteten Werken und Raumkompositionen.

 

In den 1970er-Jahren schuf Chaimowicz Environments, die ihre ästhetische Formensprache aus der Kunstgeschichte sowie dem popkulturellen Repertoire des Glam-Rock bezogen: Diskokugeln, Scheinwerfer, Lichterketten, Popmusik einerseits und symbolisch aufgeladene Elemente aus der Kunstgeschichte wie Spiegel und Blumen andererseits kamen z. B. für Celebration? Realife und Enough Tiranny (beide 1972) zum Einsatz. Zusammen mit seinen Performances standen diese Werke im Gegensatz zur puristischen Repräsentation der Konzeptkunst und Minimal Art und machen ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der britischen Sub-Hochkultur der 1970er-Jahre.
Seine künstlerische Entwicklung ist in engem Zusammenhang mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre zu sehen. Die Studentenrevolte 1968, die Chaimowicz in Paris unmittelbar erlebt hat, hat seine künstlerische Entwicklung beeinflusst. Nicht die politische Linke Großbritanniens, die Chaimowicz zunächst interessiert beobachtet, aber bald als autoritär und dogmatisch abgelehnt hatte, sondern der Feminismus und die homosexuelle Befreiungsbewegung (Gay Liberation Movement) wurden ihm wichtige Inspirationsquellen. Als radikaler emanzipatorischer Schritt kann seine künstlerische Auseinandersetzung in den frühen 1970er-Jahren mit dem Privaten/Öffentlichen und der Domäne des Häuslichen, die traditionell weiblich konnotiert war, gelesen werden.

 

 

Die Betonung auch im Ausstellungskontext, dass KünstlerInnen nicht in einem hermetisch von der Außenwelt abgeschlossenen sozio-politischen Vakuum arbeiten, bringt Chaimowicz gelegentlich durch die Einladung von GastkünstlerInnen zum Ausdruck. In die Secession hat er den von ihm hochgeschätzten Wiener Architekten Hermann Czech sowie den jungen britischen Künstler Simon Thompson eingeladen.

 




Künstler*innen
Marc Camille Chaimowicz

geboren im Paris der Nachkriegszeit, lebt und arbeitet in London und im Burgund.

Programmiert vom Vorstand der Secession


Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07