Mai Ling
NOT YOUR ORNAMENT
15.9. – 12.11.2023
Mai Ling ist ein 2019 in Wien gegründetes Künstler*innenkollektiv und ein Verein, der sich dem Austausch über Erfahrungen mit Rassismus, Sexismus, Homophobie und Vorurteilen aller Art insbesondere gegen asiatische FLINT* (Frauen, Lesben, Inter-, Nichtbinäre und Trans-Personen) ermöglichen möchte. Die in der Solidarität gegen patriarchale und rassistische Diskriminierung verwurzelte Vereinigung bietet Raum und ein wachsendes Netzwerk, um die vielen von solcher Diskriminierung Betroffenen zu Wort kommen zu lassen und neue Formen der Zusammenarbeit zu fördern. Als anonymes Kollektiv und multihybride Gestalt – alle Mitwirkenden treten als „Mai Ling“ auf – setzt die Gruppe vielfältige künstlerische und diskursive Formate wie Performances, Texte, Videos, Klang, Installationen, Vortragsreihen, Interventionen und Proteste ein.
Der Name Mai Ling bezieht sich auf einen Fernsehsketch mit diesem Titel, in dem der deutsche Komiker Gerhard Polt 1979 sexistische und rassistische Stereotype und Vorurteile gegen asiatische Frauen in der deutschsprachigen Gesellschaft darstellt. Mit Bezug auf diese Arbeit und heutige Themen fordert Mai Ling den westlichen heteropatriarchalen Blick heraus und stellt sich rassistischen Fantasien entgegen, die stereotypische Vorstellungen von „Asien“ immer weiter reproduzieren und in der Gesellschaft noch immer tief verankert und verinnerlicht sind.
In NOT YOUR ORNAMENT untersucht Mai Ling die rassifizierte und vergeschlechtlichte Logik des „Ornamentalismus“ – eine Verschmelzung von „Orientalismus“ und „Ornament“, die die amerikanische Feministin Anne Anlin Cheng in ihrem Buch Ornamentalism bespricht. Sie analysiert, wie die europäische und amerikanische Imagination asiatische Femininität als eine Mischung aus Mensch und Dekorationsobjekt konstruiert hat. Mai Ling bricht diesen verdinglichten Zustand mittels ornamentaler und invasiver Pflanzen auf. Mit Bezug auf die enge Beziehung der Secession zum Jugendstil – oft durch Ornamentik geprägt, die von Naturformen wie Blumen und Pflanzen inspiriert ist – will Mai Ling gegenüber der dekorativen Ästhetik, die die Sexualisierung und Entmenschlichung asiatischer Körper in der weißen Gesellschaft fortschreibt, die eigene Handlungsmacht zurückgewinnen.
Als Teil dieser Auseinandersetzung spielt die Kudzu-Pflanze und ihr Bezug auf das Konzept der „Klebrigkeit“ als Mittel des Widerstands und des Vergnügens eine zentrale Rolle in der Ausstellung. Die zunächst im Rahmen der Centennial International Exhibition 1876 als „Zierpflanze“ in die USA eingeführte und später in der Landwirtschaft zur Verhinderung der Bodenerosion eingesetzte Kletterpflanze gilt heute in weiten Teilen der Welt als invasive Art. In ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in Ost- und Südostasien und einigen pazifischen Inseln wird sie in der traditionellen Medizin sowie als Nahrungs- und Nutzpflanze geschätzt – aus den Ranken werden beispielsweise Gewebe gefertigt; die in ihren Wurzeln enthaltene Stärke dient als Verdickungs- und Klebemittel.
In der Zweikanal-Videoinstallation Becoming Stickiness stellt Mai Ling sich und ihre eigene Reise als eins mit Kudzu dar und macht sich so dessen Klebrigkeit, Wandlungs-, Genuss- und Widerstands- fähigkeit zu eigen. Das Kollektiv erklärt dazu: „Sich mit Kudzu zu verwandeln und zu formen bedeutet, unsere eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, Raum einzunehmen, mit unserer Umgebung zu verschmelzen, Hindernisse zu überwinden, die, die uns angehören, zu heilen und sich frei auszubreiten. Man sagt, Kudzu sei wegen ihrer großen, knollenförmigen Wurzelstrukturen schwer auszurotten. Lassen wir unsere eigenen Wurzeln gemeinsam stark werden.“ Die Arbeit beginnt mit der Suche nach Kudzu, Klebrigkeit und Genuss durch Gesten des Experimentierens mit der invasiven Pflanze, die gekocht, gegessen, gefühlt, in Interaktionen einbezogen und verkörpert wird. Sie erreicht ihren Höhepunkt in einer kollektiven Choreografie, in der sich zahlreiche Körper ineinander verschränken, letztlich eins mit Pflanzen werden und so die schwierigen Spannungen in den politisch aufgeladenen Dichotomien zwischen Mensch und Ding, zwischen dekorativ und invasiv in Frage stellen.
In einem Raum voll in Erde gesetzter Zierpflanzen können die Besucher*innen den vielen Stimmen von Mai Ling lauschen. Indem sie historische Schilderungen sowie die eigenen Erinnerungen in Bezug auf die in die westliche Welt gebrachten, als Handelsware verkauften Zimmerpflanzen darlegen, bringen die jeweiligen Geschichten die komplexen Verstrickungen zwischen dem anhaltenden Kolonialismus, Exotismus im Gartenbau und migrantischen Erfahrungen zum Vorschein. Gleichzeitig eignet sich die Wandtapete botanische Muster für private Innenräume, wie sie typisch für den Jugendstil sind, wieder an. Auch das Gruppenbildnis am Ende der Ausstellung verweist darauf, wie Mai Lings Leben mit dem der Zier- und invasiven Pflanzen verflochten ist.
Mai Ling entstand als Gruppe aus dem Bedürfnis nach einer kollektiven Plattform, auf der Erfahrungen gemeinsam artikuliert werden können. Daher war Klebrigkeit als Form des Genusses und Mittel zur Stärkung der Gemeinschaft ein zentraler Aspekt ihrer Aktivitäten, noch bevor der Begriff in ihre Praxis Eingang fand. Um die vielen beteiligten Stimmen zur Geltung zu bringen, ermöglicht das Lesekabinett nicht nur Einsicht in frühere Arbeiten, sondern eröffnet Zugänge zu relevanten Diskursen über Kollektivität sowie diasporische und migrantische Gemeinschaften. Führungen durch die Ausstellung in mehreren asiatischen Sprachen schaffen Raum für informelle Versammlungen und Gespräche und laden so andere ein, sich der Reise von Becoming Stickiness anzuschließen.
Zusammen mit Mai Lings
Mai Ling bietet Führungen in mehreren Sprachen an:
Zusammen mit Mai Lings ist eine Reihe von Führungen, die die Stimmen von Künstler*innen,
Kulturarbeitenden, Kollektiven und Initiativen asiatischer Abstammung, die in Wien leben,
in den Mittelpunkt rückt. Jede*r Vermittler*in verknüpft die Werke der Ausstellung mit der jeweiligen eigenen künstlerischen Praxis und gelebten Erfahrung und eröffnet so eine einzigartige Perspektive auf die Ausstellung.
Die Führungen sind eine Erweiterung von „Mai Ling Speaks“, einer Reihe von Gesprächen und Interviews, die 2020 initiiert wurde, um aktive Stimmen zusammenzubringen, die sich mit der Eskalation von anti-asiatischem Rassismus beschäftigen.
Max. 20 Teilnehmer*innen
Eintritt und Führung kostenfrei
Treffpunkt im Foyer der Secession
Digitale Publikation