Liz Deschenes
7.12.2012 – 10.2.2013
Liz Deschenes’ fotografisches Œuvre beschäftigt sich mit Bedingungen der Fotografie und ihren Komponenten, der Wahrnehmung und den gegenseitigen Wechselbeziehungen mit anderen künstlerischen Medien sowie nicht zuletzt mit der Architektur, im Rahmen derer ihre Arbeiten gezeigt werden. Deschenes’ Arbeiten erlauben einen selbstreferentiellen Blick auf das Medium, das von seinen Funktionen befreit ist und die eigenen Rahmenbedingungen zum Thema erhebt.
Seit einigen Jahren arbeitet Deschenes fast ausschließlich mit Fotogrammen, Bildern, die ohne Kamera erzeugt werden, eine Technik, die so alt ist wie die Fotografie selbst. Traditionell dient sie zur Abbildung von Silhouetten. Objekte werden auf fotosensitives Papier gelegt und dieses dann belichtet, wobei Deschenes auf diese äußeren Referenzen verzichtet. Ihre Arbeiten entstehen, indem sie Fotopapiere über mehrere Stunden im Freien (meist) dem Nachtlicht aussetzt, danach fixiert und mit Tonern behandelt. Je nach Einsatz und Wahl unterschiedlicher Fotochemikalien entstehen dabei Oberflächen, die schwarz, weiß, silber- oder goldfarben, glänzend oder matt sind. Hinzu kommen äußere Faktoren wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit, die unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Die Chemikalien und das Handling der Künstlerin hinterlassen Oberflächen, die Schlieren und Flecke sowie Hand- und Fingerabdrücke der Künstlerin aufweisen.
„Meine Arbeit reagiert auf das meinem Empfinden nach oft eingeschränkte Verständnis von Fotografie. Ich denke, dass Fotografie viel mehr kann, als einen bestimmten Moment in der Zeit abzubilden. […] Ich arbeite mit den Grundlagen der Fotografie, also mit Papier, Licht und Chemikalien. Es gibt kein Negativ, keine digitale Datei. Ich versetze sie in einen vor-fotografischen Zustand zurück.“ (1)
Die so produzierten Fotogramme zeigen nichts als sich selbst und Spuren ihres Entstehungsprozesses. Ein wesentlicher Faktor dabei ist, dass der einmal ausgelöste fotochemische Prozess nie zum Stillstand kommt. „Ich muss ständig auf die sich ändernden Bedingungen der Arbeit reagieren, und das ist einer der Gründe, warum ich versuche, Arbeiten zu schaffen, die sich auch während und sogar nach der Ausstellung noch verändern. Weil es keinen entscheidenden Moment gibt.“ (2)
Deschenes’ Fotogramme verändern sich, sie oxidieren, verfärben sich und sind in stetem Wandel begriffen. Insofern knüpft sie damit an ihre früheren Auseinandersetzungen mit Farbe und Monochromie an. „Das Monochrom und andere selbstreflexive Praktiken haben in der Fotografie keine profunde Geschichte, vor allem weil dieses Medium so hervorragend für die Dokumentation von Dingen und Ereignissen geeignet ist. ‚Die Abkehr der Malerei von der Darstellung hat die Fotografie dazu verdammt.’“ (3)
Für ihre Ausstellung in der Secession hat Deschenes eine Serie neuer Fotogramme konzipiert. Die Werktitel Stereograph 1–16 der 16 für Wien produzierten Arbeiten verweisen auf Stereoskopie, eine (historische) Technik der Bildproduktion, die durch die Verdoppelung von zwei Bildern – aus leicht versetztem Winkel aufgenommen – Fotografien mit räumlichem Eindruck erzeugt. Mit dieser Ausstellung bringt Deschenes zwei ihrer zuletzt deutlich gewordenen Interessensgebiete neben der Fotografie ins Spiel: Architektur und Ausstellungsdisplay. „Hier gibt es den Bezug auf die Kamera als Raum, denn wortwörtlich bedeutet ‚camera’ auf Latein ja ‚Zimmer’. Das habe ich also im Hinterkopf, wenn ich diese Räume mit Hilfe der Fotogramme neu fasse.“ *
Die extrem langgestreckten und schmalen Fotogramme werden jeweils in Paaren winkelig zusammengefügt und bilden eine Art Faltung, die auf den Balg einer Großbildkamera Bezug nimmt. Diese visuelle Referenz auf das signifikante Erscheinungsbild einer Großbildkamera, die wiederum bevorzugt für Architekturaufnahmen eingesetzt wird, da die perspektivische Verzerrung durch die Verstellmöglichkeiten des Objektivs korrigiert werden kann, findet sich schon früher, vor allem bei Deschenes’ Arbeiten für die Whitney-Biennale (2012) und ihrer räumlichen Foto-Installation Tilt / Swing (in mehreren Versionen, zuerst 2009). Der Titel beschreibt die Möglichkeiten der Bildkontrolle durch Kamerabewegungen wie z. B. die Kippfunktionen des Objektivs. Dadurch werden Bilder erzeugt, die nicht dem „natürlichen“ Sehen des Menschen entsprechen. Diese subtile Referenz auf Manipulationsmöglichkeiten der Wirklichkeit durch die Kamera führt den seit Beginn der Fotografie bestehenden Mythos der objektiven Darstellung der Wirklichkeit und in der Folge die Konnotation von Fotografie und Wahrheit ad absurdum.
Der Bezug zu Stereoskopie ist nicht wörtlich, sondern findet in Form einer Reflexion über Kamera, Raum und Sehen statt. Für ihre Ausstellung in der Galerie der Secession hat Deschenes zunächst die Raumfolge und somit die Choreografie der Ausstellung durch die Verlegung der Eingangssituation zum Seiteneingang radikal verändert. Anstelle der gewohnten Sequenz von drei Räumen mit sehr unterschiedlichen Qualitäten und Charakteristika erzeugt sie eine Raumgabelung. Vom Eingangsraum, von Deschenes als „viewfinder“ [Kamerasucher] bezeichnet, müssen sich die BesucherInnen entscheiden, ob sie zuerst in den linken oder rechten Ausstellungsraum gehen möchten.
Deschenes Referenz auf Stereoskopie ist ein Spiel mit dem Doppelbild. Den BetrachterInnen kommt auch in dieser Installation eine aktive Rolle zu, da sie quasi mit ihrer Bewegung die Blickverschiebung als Grundbedingung des stereoskopischen Sehens übernehmen. „Wie bei allen meiner Ausstellungen werden sich die Dinge höchstwahrscheinlich erst in der Installation/Ausstellung klären.“ *
(1) http://www.youtube.com/watch?v=jhLiT5RUKyw, hochgeladen 29.2.2012.
(2) „Liz Deschenes in the Studio with Brian Sholis“, Art in America (März 2012), S. 155.
(3) Liz Deschenes, unveröffentlichtes Künstlerstatement mit einem Zitat von Ruth Horak, „Narration und neue Reduktion in der Fotografie (2002/03)“, in: Rethinking Photography I + II, Ruth Horak (Hg.), Salzburg/Graz 2003, S. 93.
* alle Zitate aus: “Interview. Liz Deschenes im Gespräch mit Bettina Spörr”, Ausstellungskatalog, Secession, Wien 2012.
geboren 1966 in Boston, Massachusetts, lebt und arbeitet in New York.