


Lieselott Beschorner
Im Atem der Zeit
29.6. – 6.11.2022
Mit dem Titel ihrer Ausstellung Im Atem der Zeit stellt Lieselott Beschorner einen direkten Bezug auf ihr Umfeld her, aus dem heraus sich ihr Werk entwickelt. Nur im Jetzt unserer Tage wie im Damals der vergangenen Jahrzehnte konnten sich ihre Ideen auf die jeweils spezifische zeitgebundene Weise herausbilden. Dennoch beansprucht ihre Kunst eine Allgemeingültigkeit, die sie über die momentanen Bezüge hinaushebt und auch für die Zukunft bedeutsam macht.
Lieselott Beschorner blickt auf gut 70 Jahre künstlerisches Schaffen und auf eine fast ebenso lange Mitgliedschaft in der Wiener Secession. Als sie 1951 in die Künstler*innenvereinigung aufgenommen wurde, war sie eine der ersten Frauen, denn bis in die unmittelbare Nachkriegszeit blieb die 1897 gegründete Secession eine reine Männerdomäne. Schon 1954 hatte sie dort ihre erste Ausstellung, in den Jahren 1966 und 1972 folgten zwei weitere und in Gruppenausstellungen waren ihre Arbeiten bis Mitte der Siebzigerjahre hier regelmäßig zu sehen. Als etwa zeitgleich die Künstlerin eine Lehrtätigkeit in einer Berufsschule aufnahm (für gut 30 Jahre) und sich neue Strömungen ins Blickfeld der Aufmerksamkeit drängten, wurde es ruhiger um sie.
Nichtsdestotrotz produzierte Beschorner unablässig weiter, mit den ihr jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln, und schuf ein Werk, das höchst komplex und ebenso vielfältig ist: Von abstrakter Malerei über expressiv gegenständliche Zeichnungen und Collagen, Keramiken und Textilarbeiten – etwa ihre mittlerweile wohl bekannteste Werkgruppe der Puppas – reicht der Bogen bis hin zur jüngsten Phase mit Skulpturen wie den Behuteten Kopffiguren (2014) und einer gewaltigen Menge an Zeichnungen zum allgegenwärtigen Thema des Virus, darunter der Zyklus der Weinenden Omnichronisten (2022). Von den Ergebnissen dieser bis in die Gegenwart andauernde zeichnerische Praxis ist in der Ausstellung ein kleiner Querschnitt als „Tapete“ repräsentiert. Diese als Impuls- oder Sekundenzeichnungen zusammengefassten Blätter entstehen spontanen Eingebungen folgend aus einer eruptiven Gestik gepaart mit Erfahrung und meisterlicher Beherrschung der Linie. So ist es ihr gegeben, auch im Zustand der fast vollkommenen Erblindung spannungsreiche Kompositionen zu schaffen, die von spielerischer Leichtigkeit und gleichzeitig festem Bildbau geprägt sind. Im Oeuvre Beschorners steht das rationale Kalkül in zweiter Reihe. Sie betrachtet ihre Kunst gleichsam als Geschenk, das in Form der Werke wie in einem Schöpfungsakt impulsiv aus ihr hervorkommt. „Diese Werke bin ich“, so Beschorner. Und so wie der Geist der Künstlerin ganz direkt in ihre Produktion einfließt, haben auch ihre fetischartigen Figuren eine Anmutung, als wohnten Geister in ihnen. Sie sind die Mitbewohner des Hauses und bilden eine Kommunikations- wie auch Schutzebene. Derart unterschiedliche Aspekte verbinden sich im Oeuvre durch das Thema der Groteske.
Mit vielen ihrer Arbeiten und Arbeitsweisen nahm Lieselott Beschorner so manches Ergebnis späterer Künstlerinnengenerationen vorweg, etwa in den Werken von Sarah Lucas oder Annette Messager, und ihre Puppas gehen sogar den Puppen von Louise Bourgeois voraus. Erst vor gut einer Dekade wurde ihr Werk mit einer Ausstellung im MUSA in das öffentliche Bewusstsein zurückgeholt. Die Secession freut sich, mit der Ausstellung Im Atem der Zeit jüngste Arbeiten der Künstlerin zusammen mit ausgewählten Arbeiten aus früheren Schaffensperioden zu präsentieren und damit zeigen zu können, wie ungebrochen frisch und zeitgenössisch Beschorners Werk auch heute ist.
Ergänzend zur Ausstellung ist der Film Sekundenarbeiten (2021) von Christiana Perschon zu sehen. Dieses außergewöhnliche Porträt zeigt die Künstlerin im Atelier bei der Arbeit an ihren Impulszeichnungen. Für diese benötigt sie in etwa so lang bis die 16mm Bolex der Filmemacherin wieder aufgezogen werden muss. Während die schönen Schwarzweißbilder ohne Ton bleiben, hört man die Künstlerin zum Schwarzbild erzählen.
Kuratiert von Berthold Ecker und Jeanette Pacher