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Nachdem ich eines Tages auf Propagandaflugblätter aus Nordkorea gestoßen war, begann ich mir vorzustellen, wie es wäre, mit den unbekannten Menschen im Norden zu kommunizieren und Kunst als Mittel zu nutzen, um diesen verbotenen Kontakt möglich zu machen. Dies war der Ausgangspunkt meines laufenden Stickerei-Projekts. Texte und Bilder, die digital erstellt wurden, wurden von Zwischenhändler*innen über China und Russland an Kunsthandwerker*innen im Norden übermittelt. Im Gegenzug erhielt ich arbeitsintensive, analoge Stickereien, bei denen jede einzelne Naht von Hand gemacht wurde. Ich hoffte, dass die Kunsthandwerker*innen während ihrer Arbeit über die übermittelten Texte und Bilder nachdenken, die Allegorien interpretieren und ihre Fantasie schweifen lassen. Tatsächlich konnte ich in diesem Prozess nicht viel tun. Es bestand immer die Gefahr, dass die Arbeiten von den nordkoreanischen Behörden zensiert oder beschlagnahmt wurden. Außerdem musste ich den Zwischenhändler*innen zusätzliche Beträge zahlen, und manchmal verschwanden sie einfach. Diese Unsicherheiten spiegeln die heutige Realität wider: die physische Unzugänglichkeit Nordkoreas und die ideologische Feindseligkeit, die die Weltgeschichte prägt. Deshalb habe ich das unsichtbare Hindernis als Bedingung dieser künstlerischen Kommunikation eingeführt. Prozess und Ergebnis, Bild und unsichtbare Realität überlagern sich immer wieder, so wie Kette und Schuss beim Weben.

 

Der Beginn der Chandeliers-Serie, die Teil des Stickerei-Projekts ist, war eine Szene aus einer Dokumentation über eine nordkoreanische Kartentrick-Show. Während Tausende Menschen hinter Farbtafeln eine Vielzahl bemerkenswerter Bilder formten, stach ein Junge hervor, der seinen Kopf heraustreckte und schnell wieder verschwand. Die Kamera fing diesen Moment in einer Nahaufnahme ein. Es war ein außergewöhnlicher Augenblick, als der Junge zu einem der Pixel wurde, die zusammen ein Bild einer Waffe bildeten. Politische und wirtschaftliche Ideologien wirken hinter diesen extravaganten Bildern. Ebenso steckt hinter dem Titel des Werks und dem leuchtenden Bild des Kronleuchters, das durch arbeitsintensive Stickerei entstand, eine Geste in Richtung der tragischen Geschichte der beiden Koreas, deren Teilung eher eine Entscheidung imperialer Mächte war. Wie der kleine Junge, der sich hinter der Farbtafel versteckte, begegnen die Kunsthandwerker*innen der Welt als unsichtbare Wesen, die dennoch hinter jeder einzelnen Naht des Kronleuchters existieren, den sie geschaffen haben.

 

Kyungah Ham

What you see is the unseen / Chandeliers for Five Cities BC 02-04, 2014–16

Nordkoreanische Handstickerei, Seidenfäden auf Baumwolle, Zwischenhändler, Angst, Zensur, Ideologie, Holzrahmen, ca. 1900 Stunden/4 Personen
265 x 357 cm

Courtesy die Künstlerin, carlier | gebauer, Berlin/Madrid und Kukje Gallery, Seoul

 

Kyungah Ham

What you see is the unseen / Chandeliers for Five Cities BC 02-05, 2014–16

Nordkoreanische Handstickerei, Seidenfäden auf Baumwolle, Mittelsmann, Angst, Zensur, Ideologie, Holzrahmen, ca. 2000 Stunden/4 Personen
265 x 362 cm

Courtesy die Künstlerin, carlier | gebauer, Berlin/Madrid und Kukje Gallery, Seoul

 

Kyungah Ham, geboren 1966 in Seoul/KR, ist eine zeitgenössische Künstlerin aus Seoul. Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit den strukturellen Widersprüchen und Ungerechtigkeiten der modernen Gesellschaft. Zu ihren bedeutendsten Einzelausstellungen zählen: Phantom and A Map, Kukje Gallery, Seoul, KR, 2024; Kyungah, Pace Gallery, Hongkong, HK, 2018; Phantom Footstep, Carlier Gebauer Gallery, Berlin, DE, 2017; Phantom Footstep, Kukje Gallery, Seoul, KR, 2015; Desire and Anesthesia, Art Sonje Center, Seoul, KOR, 2009i. Se hat auch an zahlreichen internationalen Projekten teilgenommen, darunter: The Shape of Time Contemporary Korean Art(Philadelphia Museum of Art, Philadelphia, 2023; Minneapolis Institute of Art, Minneapolis, 2024); Hallyu, The Korean Wave (Victoria and Albert Museum, London, 2023; Museum of Fine Arts, Boston, 2024; San Francisco Asian Art Museum, 2025); We Do Not Dream Alone, 1st Triennial of Asian Art (Asia Society Museum of Modern and Contemporary Art, New York, US, 2020); Threads (KAI10/Arthena Foundation, Düsseldorf, DE, 2021); Remaining: New Perspective (UBS Art Gallery, New York, US, 2020); Examination of a Case (Kunstsammlungen Chemnitz, De, 2020); Paradox (Museum of Modern and Contemporary Art, Casa Cavazzini, 2018); The Asian Corridor of Culture City in East Asia 2017 (Kyoto Art Center & Nijo Castle, Kyoto, JP, 2017); Material Connection (Jane Lombard Gallery, New York, US, 2017); Artists of the Year 2016 (Museum of Modern and Contemporary Art, Seoul, KR, 2016);Taipei Biennale (Taipei National Museum of Art, Taipei, TW, 2016); Asia Time, 1st Asia Biennale and 4th Triennale (Guangdong Museum of Art, Guangzhou, CN, 2015); Beyond and Between (Leeum, Samsung Museum of Art, Seoul, KR, 2014)



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