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Klara Lidén
Auf jeden Fall
1.2. – 31.3.2019

https://secession.at/items/uploads/images/1661345177_Mo2QF5ijuhMn.jpeg

Klara Lidén, Grounding, 2018, Installationsansicht, Secession 2019, Foto: Oliver Ottenschläger

Klara Lidén arbeitet mit dem urbanen Raum – die Großstadt samt deren Infrastruktur und gesellschaftlichem Gefüge – und ihrer eigenen, physischen Präsenz, wenn sie im städtischen Umfeld in Aktion tritt. Sowohl für ihre skulpturalen Objekte und Installationen als auch für ihre spontanen performativen Interventionen greift die Künstlerin auf die Vielzahl unterschiedlicher Materialien des urbanen Inventars zurück: Mistkübel, Bankomaten, Schilder, Bauzäune, und Plakatwände. Die städtische Umgebung und der eigene Körper sind nicht nur unmittelbar und stets verfügbar, sie stellen auch ökonomische Ressourcen dar. Lidén thematisiert die Allgegenwart von normativen Regeln und Konventionen in unserer Gesellschaft. Ihre Arbeiten handeln jedoch stets von der Befreiung und dem Überwinden der bedrückenden Einschränkungen, indem sie ebenso subtil wie entschieden Möglichkeiten von der Norm abzuweichen aufzeigen

 

In ihrer Ausstellung Auf jeden Fall  bettet Klara Lidén Videos von vier neuen performativen Aktionen in ein skulpturales Display ein, das sie eigens für die Ausstellung gestaltet und vor Ort produziert hat. Die Installation reflektiert das gegenwärtig vorherrschende Klima von Angepasstheit und sozialer Kälte in der (westlichen) Politik und Gesellschaft, bietet aber auch Ideen für einen alternativen und achtsamen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Mitteln an. Das Inventar, wie die aus Kunststoffkanistern gebastelten Lampen und die gebrauchten, mit Planen verhängten Bauzäune, die zugleich als Videoscreen und Raumteiler fungieren, wirkt improvisiert und behelfsmäßig. Die schwarzen Unikatdrucke in gebrauchten Metallrahmen, die mit Hilfsmitteln wie Neonröhren, Planen, Bauzaunnetzen oder einem Fahrradreifen hergestellt wurden, weisen eine ähnliche Sprache auf.

 

Die provisorische, minimalistische Ästhetik der Installation zeugt von einer Wertschätzung der Offenheit und potentiellen Schönheit des Unvollkommenen. Das Ambiente spiegelt zugleich den Reiz und die Herausforderung der improvisiert rauen und unangepassten Arbeitsweise wieder – eine Methode, die dazu anregt, über gesellschaftliche Konformität und Bequemlichkeit hinauszudenken, indem sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und Materialien auskommt und diese mit Geschick umfunktioniert und aufwertet.

Die projizierten Videos von Lidéns performativen Interventionen in Berlin, New York und Wien zeigen die Möglichkeiten und das Potenzial unerwarteten und unkonventionellen Handelns auf, während die kargen Settings der Videos und ihre kühle zurückgenommene Farbigkeit die wachsende Gleichgültigkeit und Kälte in der heutigen Gesellschaft spiegeln.

 

Das im ersten Ausstellungsraum präsentierte s/w-Video Karl Zwei Drei wurde Anfang 2019 auf einem Flachdach gefilmt. Ein 360°-Kameraschwenk bietet einen Rundblick von Berlins Ballungsraum, eine fahle Stadtansicht, die nahtlos mit dem Hintergrund, einem düster grauen Himmel, verschmilzt. Während der ruhigen Kamerafahrt hört man Lidéns Künstlerfreund Karl Holmqvist zuerst in Englisch, dann auf Deutsch 1-2-3, 2-2-3, 3-2-3, … zählen: ein simples aber sich monoton wiederholendes Zahlenmuster, das auf das Netz an Regelungen und Übereinkommen, die das Zusammenleben in der Stadt bestimmen, anspielt. Im Gegensatz dazu ist Holmqvists Gegenwart, der während er von einem Bein auf den anderen tänzelt seinen Singsang vorträgt, von einer fast befreienden Verspieltheit geprägt.

 

Der kurze Clip Out to Lunch (2018) zeigt eine einzige Szene: in einer makellos weißen, vollkommen neutral und unpersönlich gehaltenen Küchenzeile, die vielmehr kühle Sterilität verströmt, geht plötzlich die Kühlschranktür auf und heraus steigt ganz selbstverständlich die Künstlerin. Paradoxerweise ist in dieser Szene des Entkommens das einzige Zeichen von Wärme das warm-weiße Licht im Kühlschrank.

Grounding hat Klara Lidén 2018 in Lower Manhattan anlässlich ihrer Ausstellung bei Reena Spaulings gefilmt. Das Video dokumentiert, wie die Künstlerin ad hoc durch New Yorks Finanzviertel, dem Sinnbild für Macht und Kontrolle, spaziert. In Anlehnung an die Choreografie von Massiv Attacks Videoclip zu ihrer Kultnummer „Unfinished Sympathy“ von 1991 folgt die Steadycam der Künstlerin, die an Sehenswürdigkeiten wie beispielsweise der New Yorker Börse vorbeischreitet und dabei mehrfach ernsthaft stürzt. Schon die allererste Szene macht unmissverständlich klar, worum es hier geht: Als die Künstlerin aus einer U-Bahn-Station die Straße betritt, sackt sie plötzlich direkt vor einem Plakat mit dem Schriftzug „The Money. The Power. The History.“ zu Boden – nur, um ihr Vorwärtsstreben unmittelbar fortzusetzen, angetrieben vom Beat des Soundtracks von Åskar Brickman. Diese Choreografie des Ineinanderfließens von Gehen und Fallen, in die Gehbewegung zurückfallen, stolpern, strampeln, und wieder weiterstreben demonstriert die Zerbrechlich- und Verletzlichkeit des/der Einzelnen in Hinblick auf die Übermacht internationaler Konzerne und deren kapitalistische Grundprinzipien. Die Entschlossenheit, mit der die Künstlerin ihren Weg fortsetzt und ihr Ziel nach jedem Sturz – auf jeden Fall – weiterverfolgt und weder aufzugeben noch sich geschlagen zu geben, hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.

 

Lidéns neueste Arbeit, A Walk in the Park (2019), wurde als Fortsetzung von Grounding  konzipiert und parallel zum Aufbau ihrer Ausstellung in der Secession gefilmt. Eine Collage an kurzen Episoden zeigt die Künstlerin bei einem Rundgang um die Wiener Innenstadt. Unterlegt mit demselben Soundtrack wie die New York-Version spaziert sie an den Prachtbauten und Parks der Wiener Ringstrasse vorbei und trägt dabei einen jener Bauzäune mit weißer Plane, die in der Ausstellung als Projektionsscreens dienen. Lidén wird fast zur Gänze vom Zaun verdeckt. Nur ihre Füße, die stets in Bewegung sind, schauen darunter hervor. Die am Bauzaun fixierte Plane erinnert an eine leere weiße Leinwand oder einen Banner. Nahezu bildfüllend schiebt sie sich vor die gefilmte Hintergrundszenerie und verstellt so den Blick auf die prachtvolle Macht und Reichtum verkörpernde Architektur.

 

Klara Lidén hat seit den frühen 2000er-Jahren ein umfangreiches Werk an skulpturalen Arbeiten und Installationen sowie performativen Aktionen und Videos geschaffen. Mit ihren Interventionen und ihrer radikalen Energie (ver)stört die Künstlerin bewusst soziale Konventionen, um Alltagshandlungen zu hinterfragen und das üblich gewordene Nebeneinander zu unterwandern und unterdrückte Aggressionund potentiellen Widerstand zum Vorschein zu bringen. Vielfach bleiben ihre Aktionen, die man als eine Form von kreativen Vandalismus, Aneignung und Zweckentfremdung bezeichnen könnte, zunächst anonym und im Verborgenen.




Künstler*innen
Klara Lidén

geboren 1979 in Stockholm, lebt in Berlin.

Programmiert vom Vorstand der Secession

Kuratiert von
Jeanette Pacher (Secession)

Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07