Kirsten Pieroth
5.5. – 26.6.2005
Kirsten Pieroth bedient sich alltäglicher Gegenstände, Situationen oder Abläufe, löst diese aus ihrer ursprünglichen Umgebung heraus und setzt sie in andere Zusammenhänge. Dieser Transfer führt zu einer Irritation in der Deutung der Wahrnehmung: die einzelnen Dinge, die wir in der Regel aufgrund ihrer Form, Funktion oder ihres Gebrauchs identifizieren, bieten uns nicht mehr die ihnen zugesprochene, die gewohnte, Perspektive an, sondern multiplizierte Lesarten, ihnen fremde Verweissysteme und widersinnige Sinnverknüpfungen.
Die Ausstellung in der Galerie der Secession bietet erstmalig einen umfassenden Überblick über die Arbeiten der letzten Jahre. Anwesenheit und Abwesenheit, gedankliche und physische Distanzen, die Verbindung zwischen Orten und die Spannung zwischen einer buchstäblichen und abstrakten Zeichenhaftigkeit der Sprache bilden thematische Felder innerhalb der gezeigten Werke.
Für Short Story (2004) erwarb Kirsten Pieroth beispielsweise eine von Mark Twain signierte Widmung: Das Dokument mit den Worten Truly Yours, Mark Twain verwendete die Künstlerin als Fahrschein für eine Kurzstrecke, entwertet durch einen Berliner Fahrkartenautomaten, wie der S-Bahnstempel auf dem Schriftstück belegt. Durch die Juxtaposition zweier konträrer Assoziationsfelder – “Kurzstrecke” und “Kurzgeschichte” – durchkreuzen sich divergierende Raum-Zeit-Logiken.
Die Umkehrung eines Hergangs und die Spannung zwischen einer Begebenheit, deren Darstellung und Bezeichnung waren Ausgangspunkt für Mein Flug über den Ozean (2002). Da die Künstlerin nicht persönlich zu einer Ausstellung nach New York reisen konnte, entschied sie sich, die Abwesenheit zum Gegenstand ihrer Ausstellungsbeteiligung zu machen. Mein Flug über den Ozean ist der Titel der deutschen Erstausgabe des Buches von Charles Lindbergh, das von seinem legendären Alleinflug über den Atlantik im Jahr 1927 handelt. Kirsten Pieroth schickte das Buch, verschnürt mit einer Kordel und frankiert mit Briefmarken, per Luftpost den umgekehrten Weg über den Atlantik in die Galerie. Dort ausgestellt erhält nicht nur die Titelgeschichte eine neue Drehung sondern auch der für die zeitgenössische Kunst prägende Begriff der “Ortsspezifität”.
Auch Indonesien (2002), eine Karte, die die “größten Inseln Indonesiens in alphabetischer Reihenfolge” zeigt, disloziert erlernte Konventionen, indem sie die orientierungsgebende Logik geografischer Landkarten durch eine Anordnung ersetzt, die eine lineare Abfolge von Wegstrecken vorgibt.
geboren 1970 in Offenbach/Main, lebt und arbeitet in Berlin.