Kerstin von Gabain
Raver geht ins archäologische Museum
11.4. – 8.6.2014
In der Ausstellung Raver geht ins archäologische Museum zeigt die in Wien lebende Künstlerin Kerstin von Gabain neueste Fotografien in Verbindung mit Gipsplastiken. Das performative Spiel mit Skulpturen und die Übersetzung dieser Interaktion in das Medium der Fotografie sowie der unorthodoxe Brückenschlag zwischen dem klassischen Altertum und gegenwärtiger Kultur stehen im Mittelpunkt dieser eigens für das Grafische Kabinett der Secession konzipierten Installation. Skulpturen und Fotos in dialogischer Verbindung bilden eine Raumsituation, deren ambiguer Charakter von fast beiläufigen Interventionen wie einer Soundinstallation im Treppenaufgang (in Zusammenarbeit mit Johann Neumeister) und von wie zufällig platzierten Objekten noch verstärkt wird.
Die Verbindung von “high and low”, Hoch- und Populärkultur findet bei von Gabain ganz selbstverständlich statt und ist weniger Kritik an Kategorisierungsmodellen als das Ergebnis gelebter Praxis und Lebensrealität. Die Verbindung von bildender Kunst und Musik, in diesem Fall als Referenz auf eine musikalische Subkultur, findet sich häufig in ihren Arbeiten, die selbst wiederum musikalischen Praktiken wie dem Sampling nahestehen.
Ihre Inspiration für die neuesten Arbeiten und den Ausstellungskatalog fand von Gabain in einer Publikation aus den 1960er-Jahren zu einem Symposium über archaische griechische Kunst, die zunächst ihr Interesse an archäologischen Präsentationsformen weckte. Standen am Beginn griechische Skulpturen und Darstellungskonventionen archäologischer Museen Pate für die Abgüsse und die Fotografien, emanzipierte sich die Künstlerin im Lauf der Arbeit zunehmend davon zugunsten groteskmakaberer Inszenierungen. Ihre spielerische Auseinandersetzung entwickelte sich im Verlauf der Arbeit zu einem humorvollen “culture clash” zwischen Antike und der Musikkultur von Rave und Techno.
Die Fotografien von in Gips abgegossenen Gliedmaßen – teilweise in narrativen Inszenierungen – sowie Assemblagen aus Gipsscherben basieren auf den Skulpturen, mit denen von Gabain über einen längeren Zeitraum experimentierte. Die Skulpturen stehen nicht als Produkt am Schlusspunkt eines künstlerischen Arbeitsprozesses, sondern waren für von Gabain Ausgangspunkte für bizarre Inszenierungen, die sie folglich in analoge Schwarzweißfotografien übertrug. Isoliert vor meist schwarzem Hintergrund fotografierte sie die einzelnen Skulpturen mit scheinbar objektivem Blick, der die nüchterne und systematische Erfassung von Gegenständen imitiert, wie sie beispielsweise bei der Inventarisierung und Dokumentation von Sammlungsgegenständen in Museen oder zu Studienzwecken für wissenschaftliche Forschungen erstellt werden.
Die formale Strenge der Fotos wird von den Posen wie etwa “tanzenden” Füßen und Inszenierungen der Objekte konterkariert und ins Absurde gesteigert.
Die Realitätsebenen verschwimmen, wenn von Gabain ihren abgegossenen Beinen Schuhe anzieht, einen Arm mit einer Armbanduhr schmückt oder eine mit Kapuzenjacke bekleidete Person ein beschuhtes Beinfragment hinter den Rücken hält. Flüchtige und temporäre Zusammenstellungen wie die Assemblagen 6 Raver, “Gesichter” aus fragmentarischen Abgüssen von Bierdosen, Flaschenböden und Zigaretten, stellen den anderen Extrempunkt zum (griechischen) Urfuß dar. Bei den meist kleinformatigen Skulpturen handelt es sich um Abgüsse von Körperteilen der Künstlerin und von Alltagsgegenständen, die auf einer simplen Reproduktionstechnik mittels Gipsbandagen beruhen.
Kerstin von Gabain arbeitet mit verschiedenen Formen von Aneignung, sei es von subkulturellen Praktiken oder der Umgestaltung von Möbeln und ganzen Räumen, die auf diese Weise in überraschenden Analogien und in unerwarteten Momenten resultieren. Ihre Fotografien, die in ihrem Schaffen zunehmend eine Rolle spielen, erzählen von solchen skurrilen Situationen. Für ihre Ausstellung City of broken furniture (2013) in der Galerie des Museums für Angewandte Kunst in Wien präsentierte von Gabain Möbel als “Patienten”, die sie mit Verbandsmaterial “behandelt” und einer Fotoserie von Möbeln aus der MAK-Sammlung gegengeüberstellt hatte. Diese Fotos sind, wie es in der medizinischen Dokumentation des letzten Jahrhunderts üblich war, mit Krankheitsbezeichnungen und Klassifizierungen betitelt, wie Syphilis oder 6 Verbrecher. 2011 inszenierte sie in einer in Tokyo entstandenen Fotoserie gebrauchte Futons und Matratzen in der Art von Nobuyoshi Arakis Bondage-Fotos. Auch ihren eigenen Körper setzt von Gabain immer wieder für lakonische oder provokative Statements über Klischees oder als Bildwitze ein.
Seit einigen Jahren ist insgesamt ein verstärktes Interesse an “historischen” bildgebenden Medien wie analoger Fotografie und Film zu beobachten, das nicht zuletzt von einer jüngeren Generation von KünstlerInnen ausgeht. Aufgewachsen im digitalen Zeitalter widmen sich diese vor dem Hintergrund dieser Erfahrung den analogen Medien mit einer gewissen Unbekümmertheit und verknüpfen diese mit neuesten Bildkonventionen. Für von Gabain, die früher selbst mit computergenerierten 3D-Grafiken arbeitete, ist die Beziehung von 3D-Objekten im virtuellen Raum nicht grundsätzlich verschieden vom Verhältnis realer Gegenstände zum Bildraum in der Fotografie. In ihrer Ausstellung im Grafischen Kabinett untersucht von Gabain Beziehungen zwischen Bildern und Objekten – und letztendlich mit Realitäten. Nicht eine Realität ist es, die in ihren Inszenierungen zum Ausdruck gebracht wird, sondern jeweils eine der möglichen Formen.
geboren 1979 in Palo Alto (USA), lebt und arbeitet in Wien.