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Kerry James Marshall
Who's Afraid of Red, Black and Green
21.9. – 25.11.2012

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Kerry James Marshall, Robert Johnson Frieze, 2012, Red (If they come in the morning), 2011, Buy Black, 2012, Ausstellungsansicht, Secession 2012, Foto: Wolfgang Thaler
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Wenn ich ins Museum gehe, bin ich immer wieder erschlagen von den Darstellungen weißer Körper. Diese Bilder gelten fast überall als Fundament der westlichen Kunst.
 

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Kerry James Marshall

In Who’s Afraid of Red, Black and Green, seiner ersten Ausstellung in Österreich, zeigt der afroamerikanische Künstler Kerry James Marshall eine neue, 16 Gemälde umfassende Werkgruppe, in der er erneut die visuelle Repräsentation von schwarzen Menschen in der “westlichen” Gesellschaft und die dazugehörige Bildtradition hinterfragt. Der programmatische Titel verweist bereits auf den inhaltlichen Spannungsbogen zwischen den Ideen und Zielen der Black Power- und Civil Rights-Bewegungen und der abstrakten Farbfeldmalerei eines Barnett Newman.

 

Charakteristisch für die figurativen Bilder Kerry James Marshalls ist, dass er Traditionen der westlichen Malerei untersucht und sie mit Fragestellungen und Themen verknüpft, die um schwarze Identität, visuelle Wahrnehmung und deren Verknüpfung in der Kunst kreisen. Für Katalogautor Raél Jero Salley stellen seine Arbeiten daher “ein fragiles Gleichgewicht zwischen formaler Strenge und sozialem Engagement her.

 

Marshalls Werkserie Who’s Afraid of Red, Black and Green bezieht sich in Form, Inhalt und Bedeutung auf Barnett Newmans Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue, insbesondere die Variation Nummer III (1966/67), die sich heute im Stedelijk Museum in Amsterdam befindet. Statt der Primärfarben wählt Marshall die politische Farbkombination rot, schwarz und grün. Dies sind die Farben der panafrikanischen Flagge, die auch als Afro-American flag, als Black Liberation Flag oder UNIA-Flagge bekannt ist. Entworfen wurde die Trikolore, die nach wie vor als Emblem für “Black Power” verwendet wird, 1920 von Marcus Garveys Universal Negro Improvement Association (UNIA), die1914 gegründet wurde und als eine der ersten US-amerikanischen Bewegungen der schwarzen Bevölkerung mit einem Programm gilt.

 

Die ästhetischen Errungenschaften der Farbfeldmalerei wie die Flachheit, die nuancierten Farbflächen und das unmittelbare Wahrnehmungserlebnis des großen Formats werden von Marshall in seinen Bildern aufgegriffen, jedoch nur um zugleich das Absolute und das Unendliche, das sich darin manifestiert, zu hinterfragen und mit verschiedenen Formen der Repräsentation und Figuration zu konterkarieren. Deutlich wird dies unter anderem an seinen Darstellungen von schwarzen Menschen. Einerseits lotet er die Materialität der Farbe in all ihren Nuancen aus, andererseits verweist die Farbe “Schwarz” ebenso konkret wie symbolisch auf politische und kulturelle Erfahrungen des “Schwarzseins”. Marshall: “Das hat mich zu dem Vorhaben veranlasst, einer Kunstform, die das Darstellerische ablehnt und spezifischen politischen Gegebenheiten gleichgültig gegenübersteht, das ‘Schwarzsein’ einzuschreiben. Schwarzes Selbstbewusstsein zeigt sich mal offen, mal unterschwellig im Subtext in der gesamten Ausstellung.”

 

Ein weiteres Beispiel für Marshalls Spiel mit dem Aufeinanderprallen von Bedeutungsebenen ist Red (If They Come In The Morning). Die unmittelbare Erfahrung der roten Farbfläche wird geprägt vom langsamen Erscheinen des plakativen Schriftzugs “If They Come In The Morning”. Das Zitat geht zurück auf einen offenen Brief des Schriftstellers und Bürgerrechtsaktivisten James Baldwin (1924-1987), den er 1970 an die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis schrieb. Davis war in den 1960er Jahren ein Führungsmitglied der Kommunistischen Partei, wurde 1970 des Mordes beschuldigt und konnte erst nach 16 Monaten Gefängnis ihre Unschuld beweisen. “For, if they take you in the morning, they will be coming for us that night”, lautete Baldwins letzter Satz im Brief. 1971 antwortete Davis mit dem Buch If They Come in the Morning: Voices of Resistance. Indem Marshall die Stärken und Ideen der verschiedenen Quellen zusammenführt, wandelt er, so Katalogautor Salley “die Kraft der Farbe in eine Kraft von realer gesellschaftlicher Relevanz. So eröffnen die Bilder einen Diskurs darüber, das Poetische und Erhabene jenseits einer Reduzierung auf die reine Form zu bewahren.”

 

In der Ausstellung hängen die drei monumentalen Gemälde Red (If They Come in the Morning), Black und Green mittig auf den zwei Seitenwänden und in der Apsis, so dass sie der Idee der Flagge folgend den Galerieraum strukturieren. Dazwischen finden sich weitere 13 Werke, die sowohl den Farbklang in verschiedenen Nuancen aufgreifen und malerisch ausloten als auch die Fragestellung variieren. School of Beauty, School of Culture etwa appelliert ebenso wie der Akt Black Star 2 oder The Club an das Selbstbewusstsein von schwarzen Frauen. Es zeigt einen Schönheitssalon, der von dem Zerrbild eines weißen, blonden Mädchens – Walt Disneys Sleeping Beauty – heimgesucht wird. Die Anamorphose zitiert Hans Holbeins berühmtes Gemälde The Ambassadors, wo sie die Allgegenwärtigkeit des Todes repräsentiert. Die Portraits der Stono Group hingegen geben vier Freiheitskämpfern aus dem 18. Jahrhundert ein Gesicht – Menschen, die bislang in der Geschichtsschreibung kaum oder gar nicht präsent waren, weil von ihnen keine Bilder existierten.

 

Black owned und Buy black wiederum zitieren jene Neonschilder, mit denen sich schwarze Ladenbesitzer während der Freiheitskämpfe vor Übergriffen schützen und zur Solidarität aufrufen wollten, und nehmen so Bezug auf die nach wie vor wesentlich geringere Wirtschaftkraft der schwarzen Bevölkerung. Mit dem Robert Johnson Frieze schließlich schafft Kerry James Marshall ein Pendant zum permanent in der Secession präsentierten Beethovenfries von Gustav Klimt. Seine Hommage an einen Musiker ist dem legendären und jung verstorbenen Robert Johnson gewidmet, “der für mich zu den größten Bluesmusikern, die ich kenne, gehört”. In dem zweimal über 15 Meter messenden Fries übersetzt er den Rhythmus der Bluesmusik, den für sie typischen Bruch mit Symmetrien, in eine visuelle Sprache. Marshall: “Ich sehe mich als Künstler, der sich gerne verschiedener Arbeitsweisen bedient. Ich entscheide mich für eine Arbeitsweise, wenn sie sich für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte eignet und mir die Möglichkeit bietet, die Frage zu thematisieren, warum Darstellungen von Schwarzen in einer bestimmten Kunstrichtung vorkommen beziehungsweise komplett darin fehlen.

 

 

Alle Zitate von Kerry James Marshall: Interview mit Annette Südbeck, “A move towards freedom or how to generate that sparkle”, Ausstellungskatalog, Secession, Wien 2012.




Künstler*innen
Kerry James Marshall

geboren 1955 in Birmingham, Alabama, lebt und arbeitet in Chicago.

Programmiert vom Vorstand der Secession


Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07