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June Crespo
Danzante
12.9. – 16.11.2025

June Crespo, Vascular, Ausstellungsansicht, Guggenheim Bilbao 2024, Foto: © Ander Sagastiberri

June Crespo, Vascular, Ausstellungsansicht, Guggenheim Bilbao 2024, Foto: © Ander Sagastiberri

June Crespos skulpturale Assemblagen, die die Künstlerin als kommunizierende Gefäße auffasst, treten in Resonanzbeziehung mit unseren Körpern. Die teils grazilen, teils kraftvollen Arbeiten strahlen dabei stets eine besondere Lebendigkeit aus.

 

Das Formenvokabular der meisten Werke in der Ausstellung Danzante ist von der Iris und der Strelitzie (Paradiesvogelblume) abgeleitet. Doch geht es der Künstlerin nicht darum, diese Pflanzen darzustellen. Statt als Grundlage einer klassifizierenden symbolischen Ordnung dienen sie als Ausgangspunkte für eine tiefergehende Beschäftigung mit Materialität, die gegenüber der bildhaften Dimension das evokative Potenzial von Oberflächen und Texturen in den Vordergrund rückt. Crespo behandelt ihre Materialien als Akteur*innen und versteht sich eher als Assistentin ihrer eigenen Arbeiten denn als Autoritätsfigur. So bietet sie uns eine im Wortsinn ergreifende Erfahrung dar – eine Begegnung mit Dingen, die uns in unserer leiblichen Existenz berühren und unser Bewusstsein unserer eigenen Gegenwart und ihrer Bruchstückhaftigkeit steigern.

 

Erst wenn wir um die Arbeiten herumgehen, bauen wir eine Beziehung zu ihnen auf. Für diese Erfahrung entscheidend ist die Choreografie der Objekte im Ausstellungsraum – auf den sie mit ihrem Gewicht, ihren Proportionen, ihrer Aufhängung antworten. So bewirkt die Künstlerin ungewöhnliche Verknüpfungen zwischen architektonischem Raum und Körper, zwischen Leib und Stein, die für sie nicht klar getrennt, sondern ineinander verwoben sind. Manche der Objekte ragen senkrecht auf, erheben sich, nicht anders als wir, die wir aufrecht durch die Ausstellung gehen; andere unterstreichen ihre Verbundenheit mit dem Boden. Bestimmte Skulpturen halten sich an das menschliche Maß, während andere sich über unsere Köpfe hinweg durch die offene Glasdecke der Secession recken.

 

Inspiration für die Arbeiten sind oft körperliche Erlebnisse. Die Materialien und ihre Beziehungen zueinander spiegeln Nuancen der physischen Selbstwahrnehmung wider – etwa, wie sich Gaumen und Zunge oder Augenlid und Auge in einem bestimmten Moment anfühlen mögen.

 

Crespo schafft Abgüsse und Negativformen in Stahl, Bronze oder Beton insbesondere von organischen Elementen wie Blumen. Dazu fertigt sie 3D-Scans an, ein technologisch avanciertes Verfahren der Produktion und Repräsentation, das die Gegenstände von jeglicher natürlicher Ordnung isoliert. Sie spielt mit Vergrößerung und Fragmentierung in Verbindung mit vielfältigen Oberflächenstrukturen – ihre Arbeiten sind oft roh oder verkrustet. Die Güsse kombiniert sie dann mit gefundenen Textilien oder industriellen Bauelementen sowie ihrer eigenen Kleidung, wobei sie Stücke wählt, die nah am Körper getragen werden, um ihrer Kunst eine intime Dimension zu verleihen. Die industriell hergestellten Elemente verweisen auf die Außenhaut von Gebäuden und ihre Entsorgungs- und Klimasysteme.

 

In der Verknüpfung organischer und technischer Elemente reflektiert Crespos Kunst nicht nur auf den zerstörerischen Druck, den die postindustrielle Produktion auf die Natur ausübt. Sie unternimmt zugleich eine Wiederherstellung, indem sie Brüche zwischen Dingen heilt, die nicht zusammenzugehören scheinen, aber in einer alternativen Praxis der Verbindung konstruiert und umkonstruiert werden. Die Objekte lassen verschiedene Register gemeinsam in Erscheinung treten wie in einer Traumwelt, in der Dinge neue, hierarchiefreie Beziehungen zueinander eingehen.

 

In Molar (2024) sind Bronze, Stahl und Stoff in einem komplexen Gebilde verflochten; unmöglich zu sagen, ob sie einander einengen oder freundlich umarmen. The Dancing Column II (2025) besteht aus zwei aneinandergeschmiegten Beton-Strelitzien, die monumental wirken könnten, lagerten sie nicht so sanft auf einem üppigen Polster. Für die horizontale Wandarbeit TW, TG 2025 III (2025) hat die Künstlerin wiederverwendete Lkw-Planen vom Format eines Anhängers in einem geometrischen Raster angeordnet; sie sind von Rohren durchbrochen, die ein unregelmäßiges Lochmuster entstehen und so eine industrielle Funktion erahnen lassen. Zugleich scheint es, als versetze ihre eigene Atmung sie in Schwingung.

 

Wiederholung ist ein Hauptmotiv in Crespos intuitivem und experimentellem Schaffensprozess. Sie arbeitet bewusst mit paradoxen materiellen Verhältnissen zwischen Begegnung und Entfremdung, um Spannung, Reibung und Kontrast zu erzeugen. Diese körperhaften Einheiten sind nie statisch, entziehen sich festgelegten Identitäten und Bedeutungen, scheinen immer im Fluss zu sein – Objekt-Körper im Übergang. Oder wie die Künstlerin es formuliert: „Ich will nicht ein Bild zementieren, sondern eine Begegnung zwischen Körpern vorschlagen, im Dazwischen. Mein Ziel ist es, Dinge in Beziehung zu setzen, aber in befreiter Weise – sodass die Anordnung sich nicht wie eine erzwungene Konstruktion anfühlt. Sind die Arbeiten frei, ist auch die Betrachter*in freier.“




Künstler*innen
June Crespo

geboren 1982 in Pamplona, lebt in Bilbao

Programmiert vom Vorstand der Secession

Kuratiert von
Bettina Spörr

Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07