


Jeremy Shaw
Towards Logarithmic Delay
29.5. – 31.8.2025
Jeremy Shaws Werk ist der kontinuierlichen Erkundung veränderter Bewusstseinszustände und den kulturellen und wissenschaftlichen Praxen gewidmet, die transzendentale Erfahrungen zu erfassen suchen. Seine Arbeiten sind oft an der Schnittstelle zwischen Metaphysik und Spiritualität angesiedelt. Sie zeugen von einer Faszination für Phänomene, die sich rationaler Erklärung verweigern. Diese reichen von der persönlichen Triebkraft mystischer Erlebnisse bis hin zum Versprechen technologischer Singularität. Dabei interessieren den Künstler die Glaubenssysteme, die sich bei der Ergründung dieser Phänomene entfalten. Shaws Filme, Installationen und Skulpturen konstruieren Welten, die die behauptete Rationalität und Objektivität wissenschaftlicher Forschung mit Fiktionen und Spekulationen sowie unterschiedlichen kulturellen und ästhetischen Referenzen kombinieren, um etwas entstehen zu lassen, das er „assisted vérité“ nennt. Unter Rückgriff auf Philosophie, Anthropologie und Soziologie macht sich seine Praxis die Sprachen von alternativen Kulturen, dokumentarischer Bildproduktion, konzeptueller Kunst und Musikvideos zunutze. Dabei schafft er alchemistische Werke, die gewissermaßen außerhalb der Zeit existieren.
Die Ausstellung Towards Logarithmic Delay zeigt drei neue skulpturale Arbeiten. Diese befassen sich mit der Vorstellung von Grenzzonen und der Desorientierung, die durch die Auflösung von Raum- und Wahrnehmungsschwellen ausgelöst wird. Zuerst begegnet den Besucher*innen Maximum Horizon (2024), ein Triptychon aus Buntglasfenstern ähnlich denen, die man häufig in Kirchen und anderen Andachtsstätten antrifft. Sie sind in eine rohe und unbehandelte Trockenbauwand eingelassen, ein Element, das in der Ausstellung immer wiederkehren wird. Die Komposition besteht aus Bleilinien, die sich zur Mitte des mittleren Fensters hin verjüngen, und Farbfeldern aus mundgeblasenem Glas, die von Gelb über Orange in Rot und schließlich in Schwarz übergehen. Zu sehen ist eine sich rapide nähernde – aber nie erreichte – Grenzlinie. Diese erinnert an die den Blick einsaugenden Strudel, die in Science-Fiction-Filmen und -Fernsehsendungen sowie frühen Videospielgrafiken verbreitet sind. In einer Verschmelzung der Erhabenheit religiöser Ikonografie mit popkulturellen Darstellungen digitaler Horizonte verbindet Maximum Horizon sakrale und weltliche Elemente, um das Potenzial moderner technologiegetriebener Glaubenssysteme und ihr Streben nach dem Unendlichen ins Bild zu setzen.
Im Gegensatz zum „Blick ins Jenseits“, den Maximum Horizon aufruft, lenkt die Arbeit The Distance Between Infinite Folds Is Still You (2025) die Aufmerksamkeit auf eine räumliche Anomalie, die auf physischer wie begrifflicher Ebene besteht: in diesem Fall eine filigrane dreieckige Skulptur aus drei vor der Lampe geblasenen Glasbehältern, die für Forschungszwecke genutzt werden. Als Versuch, eine 4-D-Vorstellung in drei Dimensionen darzustellen, bilden diese miteinander verschweißten „Kleinschen Flaschen“ ein Beispiel einer nichtorientierbaren Fläche. Dabei handelt es sich um eine Form, die statt einer Innen- und einer Außenseite eine einzige Seite hat, auf der Normalenvektoren stetig über horizontale und vertikale Ebenen hinweggleiten. Die innere Basis jeder Glaskammer ist mit dem Verdampfungsrückstand von Dimethyltryptamin oder DMT beschichtet, einer Substanz, die Shaw 2004 zur Grundlage einer Videoinstallation machte. DMT ist für seine extreme psychedelische Wirkung bekannt. Die ausgelöste Erfahrung wird mit der eines Quantenraums verglichen, der sich in Richtung einer fast kaleidoskopischen Unendlichkeit entfaltet. Die Präsenz von DMT in der Skulptur unterstreicht die fantastischen Potenziale multiversaler Welten und die Problematik ihrer Darstellung in unserer derzeitigen Wirklichkeit.
Im letzten Raum treffen die Besucher*innen auf Devotion Structure (Accumulated) (2025), einen stählernen Votivständer, auf dem 247 mundgeblasene rote Kerzenhalter in einem Rastermuster angeordnet sind. In ihnen befinden sich LED-Wachskerzen, von denen manche in zufälligen Zeitabständen flackern, während ein leichter Geruch brennenden Paraffinwachses aufsteigt. Nach einer Weile ist leise das Geräusch klirrender Gläser zu hören, während das Flackern sich ausbreitet. Die künstlichen Flammen verdichten sich nach und nach zu einer zentralperspektivischen Vortex-Animation, die das Raster verschlingt, während synchronisierte pulsierende Klänge aus dem Inneren der Arbeit ertönen. Das animierte Wurmloch beschleunigt sich zu einem Wirbel, der gemeinsam mit dem nun aus allen Richtungen erschallenden fieberhaften Crescendo die hypnotische Dramaturgie von Gebet, Frömmigkeit und Ergebung in ein Zusammenspiel von Licht, Schatten, Bewegung und Klang übersetzt. Vielleicht ist man hier doch an einer Art Ereignishorizont angelangt, auch wenn er sich am Ende eines gewöhnlichen Galerieraums befindet.
Die Ausstellung wurde von der Alexander Tutsek-Stiftung unterstützt.
Screening im mumok kino: Quantification Trilogy von Jeremy Shaw
Freitag, 6. Juni 2025, 18 Uhr
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien im Rahmen der Ausstellung Jeremy Shaw. Towards Logarithmic Delay (29. Mai bis 31. August 2025) statt.
geboren 1977 in North Vancouver, lebt in Berlin.