Inés Lombardi
Past Present – Close and Distant
25.2. – 15.5.2011
“Eine Reise vollzieht sich im Raum, in der Zeit sowie in der sozialen Hierarchie. Jeder Eindruck lässt sich nur in Bezug auf diese drei Achsen definieren, und da allein schon der Raum drei Dimensionen hat, so wären mindestens fünf erforderlich, um sich vom Reisen eine adäquate Vorstellung zu machen.”
"Mit diesem Zitat des französischen Strukturalisten, Ethnologen und Forschungsreisenden Claude Lévi-Strauss ist auch etwas von der Vielschichtigkeit und Komplexität der künstlerischen Arbeit von Inés Lombardi angesprochen. Seit den späten 1980er-Jahren arbeitet sie an einem sich stets erweiternden Werkkorpus, der von einer ausgesprochen differenzierten Wahrnehmungsweise geprägt ist.
Im reduziert gestalteten Eingangsbereich ihrer Ausstellung Past Present – Close and Distant im Hauptraum der Secession markieren zunächst zwei in Vitrinen präsentierte Fotoarbeiten aus dem Jahr 1990 die äußersten Pole Schwarz und Weiß. Eine schlichte Videoprojektion schräg gegenüber fungiert als Einstieg in eine Wahrnehmungsvielfalt, die auch die modernistische Architektur der Secession mit einbezieht. Nun überlässt es Inés Lombardi den BesucherInnen, ihre Wege, den eigenen Assoziationsfäden folgend, durch die klar strukturierte Raumsituation zu finden. Der Gang durch die von farbigen Trennwänden definierte Installation eröffnet je nach Einblick und Zugang ein komplexes System unterschiedlicher Erzähl- und Reflexionsebenen. Kleine, intimere Bereiche bilden thematische Gruppen und geben gleichzeitig den Blick frei auf weitere Verweise und Bezüge.
Die Residência Olivo Gomes und die Fazenda Vargem Grande, zwei Gartenanlagen des brasilianischen Landschaftsarchitekten und Malers Roberto Burle Marx (1909–1994), bilden den Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit den Themen Diversität und Heterogenität. Die Betonung des Prozesses der Hybridisierung bei der Herausbildung einer nationalen Kultur verweist damit auch auf die Marginalität Brasiliens gegenüber den vorherrschenden kulturellen Modellen Europas. Die Einverleibung des “Fremden” ist dabei ein zentraler Aspekt, der sich wesentlich in der Zeit des brasilianischen Modernismo entwickelte. (Oswald de Andrades Manifesto Pau-Brasil und Manifesto antropófago).
Beide Gartenanlagen befinden sich in der Vale do Paraiba im Bundesland São Paulo, ein Gebiet, das im 19. Jahrhundert Ziel zahlreicher wissenschaftlicher Expeditionen war. Aquarelle des österreichischen Landschaftsmalers Thomas Ender, der 1817 an einer österreichischen Brasilien-Expedition teilnahm, oder Berichte des französischen Botanikers und Forschungsreisenden Augustin de Saint-Hilaire geben Zeugnis davon. Diese frühen Berichte und Darstellungen beeinflussen durch Auswahl und Selektion die Vorstellung von tropischer Natur, die auch bei Roberto Burle Marx’ Gestaltungen eine Rolle spielt.
Die Residência Olivo Gomes in São José dos Campos wurde 1949-51 von Rino Levi, einem der bedeutendsten Architekten der brasilianischen Moderne, entworfen. Roberto Burle Marx gestaltete – in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten – die Gartenanlage, die durch eine einzigartige Verbindung von Innen- und Außenraum, von Architektur und Umgebung charakterisiert ist.
Der Garten der Fazenda Vargem Grande in Areias, einer ehemaligen Kaffeeplantage mit historischem Gutshaus aus der Kolonialzeit, wurde 1979 von Roberto Burle Marx auf der stufenförmigen Terrassenanlage, die ehemals zum Trocknen von Kaffeebohnen verwendet wurde, angelegt. Durch die gestalterischen Möglichkeiten der heimischen Pflanzenwelt revolutionierte Roberto Burle Marx die brasilianische Gartenkultur und Landschaftsarchitektur, die bis dahin noch stark mit der europäischen Tradition verhaftet war. Das Besondere an seinen Garten- bzw. Landschaftsgestaltungen ist die Beziehung zwischen Kunst und Natur sowie die Einbeziehung und den Dialog mit der jeweiligen Umgebung.
Die fotografischen Arbeiten von Inés Lombardi gehen sehr präzise auf diese Vielfältigkeiten ein. Lombardi differenziert zwar, gleichzeitig jedoch gibt sie den einzelnen Teilen die Möglichkeit, in Kommunikation miteinander zu treten. Folgt man dem Erzählstrang ihrer Reise durch das Vale do Paraiba zu den beiden Gartenanlagen, dann verführt der “malerische” Blick, den sie dem Prinzip von Burle Marx folgend gestalterisch einsetzt. Die Diversität der Arbeit wird durch Assoziationen zusammengefügt. Ihrem Wesen nach ähnlich scheinende Elemente tauchen an anderen Stellen in der Gesamtinstallation immer wieder auf und treten in Bezug zueinander: die Farbwahl für die Trennwände, deren Tonalität auf der Architektur von Rino Levi basiert und die sich auch in den Gartenanlagen widerspiegelt, die Textur einer Zeichnung von Burle Marx oder die Sammlung von Wurzelwerk, Blättern und Käfern der Künstlerin, die sie in einer Vitrine zeigt. Lombardi untersucht in zahlreichen Verweisen die Beziehungen zwischen Natur bzw. deren Konstruktion und der Urbanität einer brasilianischen Moderne, aus der sich die kulturelle Identität eines ganzen Landes speist. Sie kommt auch nicht umhin, die Frage nach dem Erbe dieser Moderne zu stellen, die so eng mit der Geschichte Brasiliens verflochten ist.
geboren 1958 in São Paulo, lebt und arbeitet in Wien.