Gruppenausstellung
I (Ich) / Performative Ontology
22.9. – 12.11.2006
I (Ich) / Performative Ontology ist der dritte Teil oder “Akt” einer Ausstellungsreihe, die in Bratislava (I – narrow focus, tranzit), Prag (I – Ja, Futura Gallery) und Wien, mit einer jeweils leicht veränderten Zusammenstellung von KünstlerInnen stattfindet. Ihr Kern jedoch oder ihre thematische Sphäre bleibt bei den unterschiedlichen Inszenierungen gleich.
Der Begriff Ontologie wird in der Philosophie in Zusammenhang mit Konzeptualisierung definiert. “Konzeptualisierung ist eine abstrakte, vereinfachte Sicht der Welt, die wir aus verschiedenen Gründen abzubilden wünschen. (…) Eine Ontologie ist die explizite Spezifikation einer Konzeptualisierung. Der Ausdruck ist der Philosophie entlehnt, wo er eine systematische Aufzeichnung des Seins bezeichnet.” (T.R.Gruber, A Translation Approach to Portable Ontology Specifications, 1993)
Es geht in der Ausstellung jedoch nicht um eine philosophische Begriffsbestimmung, sondern vielmehr um das, was diese Definition von Ontologie nicht erfassen kann, weil sie eine Matrix betrifft, die sich über die Zeit verändert. In dem Moment nämlich, in dem Ontologie generalisiert wird, wird sie zum theoretischen Dogma, das wir vielleicht intellektuell beurteilen können, das aber letztlich hinter unserer gelebten Erfahrung zurück bleibt. Ontologie gibt es nur im individuellen Leben, im Individuum, im “Ich” der jeweils konkreten Zeit. Ontologie interessiert uns nicht als sprachliche oder theoretische Dimension im Sein des Einzelnen, sondern als performative, zeitliche Dimension. Zudem verändert sie sich so sehr, dass dieselbe Person in unterschiedlichen Lebensphasen auf die selben Herausforderungen unterschiedlich reagiert. Deswegen sprechen wir von performativer Ontologie.
I (Ich) / Performative Ontology ist einem Theaterstück vergleichbar in drei aufeinanderfolgende Akte unterteilt: I. Darlegung (21.–7.10.2006), II. Höhepunkt (8.10.–25.10.2006), III. Lösung (26.10.–12.11.2006). Einige Exponate sind allein in einem Akt, andere in zweien und wiederum andere während der gesamten Ausstellungsdauer vertreten. Diejenigen Arbeiten, die temporär nicht zu sehen sind, werden jedoch nicht weggeräumt, sondern lediglich von einem Vorhang verdeckt oder ausgeschaltet. Die BetrachterInnen sind aufgefordert, sich die fehlenden Kunstwerke (etwa an Hand der Titel und verwendeten Medien) vorzustellen und die Ausstellung wiederholt zu besuchen.
Bei allem Bestehen auf Subjektivität wird das in der Ausstellung umkreiste „Ich“ als Konstruktion ausgewiesen, das sich in verschiedenen Kontexten immer wieder neu konstituiert. Mit den einzelnen Akten haben wir versucht, sowohl dynamisch als auch wiederholend mit der inneren Zeit jedes einzelnen Kunstwerks zu arbeiten und zeigen auf dieser Basis auch die innere Zeit der Ausstellung in ihrer Gesamtheit.
Die in der Secession gezeigten Arbeiten setzten sich mit Zeitlichkeit, dem Verhältnis von subjektivem und allgemeinem Wissen, von Intimität und Öffentlichkeit auseinander. Einige sind Aufzeichnungen wichtiger Lebenssituationen, andere analytische Beobachtungen gesellschaftlicher Strukturen.
Ján Mančuška beispielsweise schreibt den einfachen Satz an die Wand: “43. Die Anzahl der Atemzüge, die ich mache, während ich diese Zahl schreibe.”
Loulou Chérinet befragt in ihrer Videoperformance Personal Politics, 2003 mehrere ägyptische Frauen zu ihrem Leben und alltäglichen Problemen. Diese auf Arabisch geführten Gespräche werden von einem nicht professionellen Übersetzer, der sich in der Ausstellung aufhält, übersetzt. Bei der Übertragung bleibt es nicht aus, dass die persönliche Sichtweise und Lebenseinstellung des Übersetzers wie der BetrachterInnen mit einfließen.
Alan Currall bezeichnet sein Video Message to my best Friend, 2001 als Performance vor der Kamera. Ruhig, ja beinah unbeteiligt richtet er sein intimes Liebesbekenntnis (an einen sehr guten Freund) direkt an den/die BetrachterIn. Der Text steht in der literarischen Tradition der Bekenntnisbriefe und berührt ebenso tief wie peinlich. Offensichtlich ist die Intimität eines in Buchform publizierten Liebesbriefes ein anderes als die einer Videopräsentation.
Jiří Skálas Arbeit Volume every numbers of my family, 2002 besteht aus 4 “minimalistischen” Pappkartons. Jeder Karton hat eine andere Größe, die sich von den Volumen der Familienangehörigen des Künstlers ableitet, von seinen Eltern, seiner Schwester und ihm selbst. Vom äußeren Erscheinungsbild seiner Familie absehend, unternimmt er den fragwürdigen Versuch, ihr Inneres zu porträtieren. Die Pappkartons sind leer.
Boris Ondreičkas Textcollage Scheissliche Ostblocker, 1998–2006 könnte als poetische wie auch politische Reflektion von Arthur Rimbauds Satz “Ich ist ein anderer” gelesen werden.
Die Arbeit versammelt alle möglichen Adjektive und Namen, die seiner Person von ihm selbst oder Anderen zugeschrieben werden: “…They call me (dog) lover – husband, father, comrade, friend or foe, …. They call me punk – theoretical anarchist, collaborant, snob, dandy, … criminal / critic or angry singer … They call me inhabitant, citizen and Slovak. They call me foreigner, alien, European and obviously ‘Scheissliche Ostblocker’… They call me ‘I’ – ‘Me’“.
geboren 1953, lebt und arbeitet in Prag.
geboren 1969 in Zlaté Moravce, lebt in Bratislava.