Henrik Olesen
19.2. – 18.4.2004
In seinen Arbeiten befragt Henrik Olesen alltägliche Konventionen nach ihren geschlechterpolitischen Effekten. Ausgangspunkt sind sowohl aktuelle als auch historische Materialien: visuelle und textuelle Repräsentationen aus den Bereichen der Architektur- und Industrialisierungsgeschichte, des Justizvollzugs und der Rechtssprechung, der geografischen und demografischen Verteilung von Kapital, den Naturwissenschaften oder der Kunstgeschichte selbst. Durch Appropriation, Manipulation oder kontextuelle Verschiebungen thematisiert Olesen die Stigmatisierung, Kriminalisierung und Verdrängung von Homosexualität.
Eine wesentliche Rolle spielt der Prozess der Politisierung und der Aneignung im Sinne eines Détournements (Guy Debord) von Geschichte und deren Repräsentationen. Je nach Bezugssystem nimmt Olesen entweder minimalistische Interventionen in der Ausstellungsarchitektur und im öffentlichen Raum vor oder seine Arbeiten nehmen die Form von extensiven Internetrecherchen an. Mit Collagetechniken und skulpturalen Verfahren öffnen seine Arbeiten die hegemonialen Ikonografien, in denen homosexuelle Körper abwesend sind.
In der Secession zeigt Henrik Olesen eine Auswahl von Werken, die Produktion als ästhetischen und bedeutungsgebenden, zugleich aber wandlungsfähigen Prozess artikulieren, der unser Handeln normativ kontrolliert. Olesen schreibt Räumen und Interieurs um die Wende zum 20. Jahrhundert schwule Körper ein und verweist damit auf die allgemeine Verdrängung von Homosexualität und die gleichzeitige Beschwörung heterosexueller Familienkonzepte als gesellschaftserhaltende Strukturen.
Die Vitrine im Aufgang zum Grafischen Kabinett versammelt eine Reihe von Fotografien und Abbildungen der Secession zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Den Innen- und Außenaufnahmen sind Personen und Personengruppen hinzugefügt: Szenen von Verhaftungen oder nackte Männerkörper, die, in einer Reihe aufgestellt, im Foyer der Secession medizinischen Untersuchungen unterzogen werden. Die Vitrine, selbst ein postmodernes Zitat, wird sowohl als Display für ein homosexuelles Begehren als auch als Symbol einer Geschichte der Selektion und Zensur eingesetzt. So tauchen in und neben den historischen Abbildungen diverse Verweise und Anspielungen auf den §207 bzw. auf den §209 des österreichischen Strafgesetzbuches (ÖStGB), der die “gleichgeschlechtliche [schwule] Unzucht mit Personen unter 18 Jahren” unter Strafe stellt.
Die Arbeit 1935 1922 (2003), die in der Galerie der Secession ausgestellt ist, setzt ebenfalls die Strategie der Collagetechnik ein. Die mehrteilige Werkgruppe inkludiert eine Reihe von Collagen, die sich auf die zwei Bildromane La femme des 100 têtes (1929) und Une semaine de bonté (1934) des Surrealisten Max Ernst beziehen, sowie eine Materialsammlung mit unterschiedlichen Stadien der Sujetentwicklung. Während die Vitrinen auf das selektive, von Zufällen und Kapital bestimmte Bewahren und Sammeln anspielen, verschieben sich in den Collagen die Erzählungen von einer ursprünglich heterosexuellen Fixierung zu facettenreichen, homosexuellen Szenerien.
geboren 1967 in Esbjerg, lebt in Berlin.