Dave Hullfish Bailey
Elevator
5.5. – 25.6.2006
Kaum hatte Dave Hullfish Bailey im September 2001 mit der Installation seines schon lange geplanten Projekts Schindler Shelter – einem „temporären Katastrophenspielplatz“ in und um das von Rudolf Schindler in Los Angeles erbaute Schindler Haus – begonnen, ließen die Terroranschläge von 9/11 eine fast unheimliche Analogie zu einem sehr zentralen Thema in Baileys künstlerischer Praxis erkennen: die zumindest zeitweise Aufhebung und Desorganisation sozialer Strukturen in Folge von Katastrophen wie Terroranschlägen, Erdbeben oder Überschwemmungen sowie die vorübergehende Neukonfiguration der Gemeinschaften jenseits von Ethnizität, Religion oder politischer Orientierung.
Vier Tage lang sollte der „Katastrophenspielplatz“ bis zu 70 Menschen einen „post-apokalyptischen Zufluchtsort“ bieten, um gemeinsam die zum Überleben notwendigen Arbeiten (wie Kochen, den Bau von Schlafstätten etc.) in einer Ausnahmesituation zu meistern. Vor dem Hintergrund der ursprünglichen Idee Rudolf Schindlers, ein Leben in Harmonie mit der Natur zu führen, untersuchte Bailey, wie man die Momente der extremen Beweglichkeit und des Ungleichgewichts in der Natur auf die temporäre Neuordnung von Gemeinschaftsbeziehungen anwenden kann.
In der Galerie der Secession zeigt Bailey Arbeiten, die sich mit den industriellen Mechanismen der Einlagerung von Getreide in Großsilos befassen und zudem auszuloten versuchen, inwiefern diese Schnittstelle von Agrarprodukten und deren moderner maschineller Weiterverarbeitung als Metapher für Möglichkeiten gesellschaftlicher Strukturen fungieren kann.
Baileys Ausstellung in der Secession ist eine soziale Untersuchung, die auf Begriffe von Instabilität und Konflikt referiert, die durch das Ordnen und Durcheinanderbringen von Informationen erzeugt werden. In dem Video im Kreuzraum dokumentiert Bailey die Arbeitsprozesse von Getreidehebern in einem der fünf großen Silos am Alberner Hafen in Wien. Bailey beobachtete, dass die Struktur des Getreidekorns vom Mikro- bis in den Makrobereich vergleichbar der des Individuums in einer Gruppe ist. Die einzelnen Verarbeitungsprozesse und Reaktionen der Körner erzeugen durch gegenseitige Reibung Feinstaub, der im richtigen Mischungsverhältnis mit Luft gewaltige Explosionen verursachen kann.
In der Instabilität des Staubes als ungewolltes Neben- und Abfallprodukt des Aufeinandertreffens von Landwirtschaft und industrieller Produktion sieht Bailey ein Modell des sozialen Zerfalls mit revolutionärem Potential. Die Staubexplosion kann als Moment des Kontrollverlusts und der Entbindung gelesen werden.
Dass die Secession während des zweiten Weltkrieges kurzfristig auch als Getreidesilo zweckentfremdet wurde, verleiht der Ausstellung von Dave Hullfish Bailey nicht nur einen ironischen Unterton, sondern schafft auch eine Analogie zur Entstehungsgeschichte des Hauses: Die Abspaltung der Secessionisten von der Gesellschaft Österreichischer Bildender Künstler des Künstlerhauses 1897 wird durch das eigene Ausstellungshaus nach Entwürfen von Joseph Maria Olbrich symbolisiert. Gleichzeitig repräsentiert das Gebäude der KünstlerInnenvereinigung einen entscheidenden Augenblick in den gesellschaftlichen Veränderungen, die zu dieser Zeit in Wien stattfanden, als die Neuerungen der modernen Architektur gegen den Historismus einer vergangenen Ära standen.
Neben dem Video zeigt Bailey in Zeichnungen und Skulpturen „unbeabsichtigte Kombinationen“ von Alltagssprache, Wissenschaft und Theorie. Diese stehen für jene neuen Gesellschaftstrukturen, die sich nach einem Totalkollaps formieren können. Indem er Worte, Tatsachen und Theorien als bildhauerische Materialien behandelt, trennt Bailey Zeichen von Bezeichnetem, Klang von Schreibweise, Ereignis von Interpretation.
geboren 1963, lebt und arbeitet in Los Angeles.