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Carola Dertnig
Equivok
1.5. – 20.6.2004

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Carola Dertnig, Equivok, Ausstellungsansicht, Secession 2004, Foto: Matthias Hermann

Die Zeichnungen, Videoarbeiten und Installationen von Carola Dertnig beschäftigen sich mit dem performativen Gehalt von Sprache – von Text, Bildern, Gesten – und dokumentieren diesen als einen Prozess, innerhalb dessen Rollen entstehen und sich artikulieren. Feministisch geprägte Blickweisen sowie das explizite Interesse an einer Politisierung von Gender zählen zu den zentralen Aspekten ihrer Arbeit. Parallel zu ihrer künstlerischen Tätigkeit kuratierte Carola Dertnig zahlreiche Ausstellungen zu Performancekunst und initiierte das feministische Netzwerk a room of one’s own.

 

In der Secession zeigt Carola Dertnig eine neue Arbeit, die ihre verschiedenen Interessensfelder der letzten Jahre zusammenführt. Die Ausstellung vereint eine Toninstallation, Zeichnungen und eine architektonischen Intervention.

Die Toninstallation, eine Tonspur im Raum, ist der Monolog einer Person. Ausgehend von Interviews mit Zeuginnen des sogenannten “Uniskandals”, der 1968 im Hörsaal 1 der Universität Wien organisierten Aktion Kunst und Revolution, illustriert der Text die Erfindung einer neuen Konstellation von Ereignissen. Dertnig hat die Interviews zum Teil belassen, zum Teil umgeschrieben, zum Teil um neue Textpassagen ergänzt. So entsteht eine Erzählung, die dem Dokumentarischen nur insofern verpflichtet ist, als es Teil einer fiktionalen Konfiguration ist. Bestimmend ist, wer nicht zu Wort gekommen ist und in der Geschichtsschreibung vergessen wurde. Wer war im Publikum, welche Rolle haben Frauen gespielt, wo waren sie zu finden, wie haben sie sich gefühlt; in welchem Verhältnis standen Affirmation und Ablehnung der Aktion, wie hat die lokale Geschichtsschreibung in Österreich diese Aktion bewertet und eingeordnet?

 

 

In den Text finden weder das Wort Frau noch Mann noch die Pronomen sie oder er Eingang. Damit bezieht sich Carola Dertnig einerseits auf Überlegungen von Beatriz Preciado und anderseits auf die Tatsache des machistisch-heterosexuellen Konzepts des Wiener Aktionismus. In ihrem Kontrasexuellen Manifest argumentiert Preciado, dass der Körper ein sozial konstruierter Text ist, in dem Codes entweder naturalisiert, ausgelassen oder durchgestrichen werden, um letztlich die materielle Ausbeutung eines Geschlechts durch das andere zu sichern. Preciado plädiert dafür, die Schreibtechnologien von Sex und Gender genauso wie ihre Institutionalisierungen zu erschüttern. (kontrasexuell = alle vom Heterozentrismus abweichende Praktiken)

 

In einer spielerischen Weise (wie bei einem Kinderspiel, bei dem man ein bestimmtes Wort nicht sagen darf, um über diese Reduktion völlig ungeahnte neue Kombinationen zu entwickeln) erprobt Dertnig nachträglich Möglichkeiten eines nicht fixierten Zugangs. Dies folgt einer utopischen Vorstellung bzw. einer Sehnsucht nach dem Schreiben einer Geschichte, in der man sich adäquat beachtet sieht. Was wäre, wenn sich ein anderes gesellschaftliches bzw. sexuelles Konzept formiert hätte und man es zeitlich zurückversetzen würde?

 

 

In dem Zeichnungszyklus bedient sich Dertnig ähnlicher Taktiken wie in ihrer hypothetischen Erzählung in der Toninstallation. Auch hier mischt sie die Ebenen von historischem Material und kunsthistorischen Zitaten, etwa des Wiener Aktionismus und der Bühnenentwürfe Friedrich Kieslers, mit feministisch/ utopischen Inhalten. Die Zeichnungen zeigen Szenerien, die an utopische Filmarchitekturen erinnern, innerhalb derer sich normativ nicht zuweisbare Subjekte aufhalten. Dertnig referiert damit wiederum auf Preciado, die Architekturen und Körperarchitekturen nicht nur als politisch, sondern darüber hinaus als kontrasexuell markiert.
Die performative Ebene der Zeichnungen wird von Carola Dertnig in den Ausstellungsraum hineingezogen. Ein zweiter Boden, der in die Galerie eingebaut wurde, macht den Raum zur Bühne. Damit vergegenwärtigt Dertnig einerseits, dass dem Publikum in der Kunstgeschichte seit langem mehr als nur der passive Part des Betrachtens eingeräumt wird. Andererseits öffnet sich der Spielraum der BetrachterInnen, sie können von der Rolle der RezipientIn zur StatistIn zur AkteurIn wechseln. Die Bühne in der Galerie wird im performativen Sinn zu einem Ort für Handlung.

 

 

Dertnigs künstlerische Strategie ist nicht nur eine der Umschreibung; sie umkreist vielmehr auch die Frage, wie nah man am historisch Dokumentierten bleiben und sich trotzdem im abstrakt Utopischen aufhalten kann. Die vielfältigen Perspektiven, die das Publikum dabei zwischen den Installationen erfahren und einnehmen kann, lassen es schließlich selbst zur Figur in der utopischen Erzählung werden.

 




Künstler*innen
Carola Dertnig

lebt und arbeitet in Wien.

Programmiert vom Vorstand der Secession


Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07