Brian Jungen
18.9. – 16.11.2003
Die Skulpturen von Brian Jungen zählen zu den zentralen künstlerischen Beiträgen in der aktuellen Neuformulierung von ethnologischen und kultur-evolutionären Blickweisen. Jungen, der der Kultur der kanadischen Dàne-Zaa-Indianer (First Nations) angehört, verfolgt hierbei nicht die Reanimation einer marginalisierten (Bild-)Sprache und Symbolik. Vielmehr zeigen seine Arbeiten Kultur als eine Fusion von Kulturen, so dass der Glaube an eine Authentizität aber auch eine Vorrangstellung sowohl in bezug auf eine “indianische” als auch eine dominante westliche Tradition in Frage gestellt wird. Darüber hinaus betonen seine Arbeiten die Bedeutung einer ästhetischen Sprache als Werkzeug für eine emanzipatorische Kulturkritik.
Internationale Bekanntheit erlangte Jungen mit den Skulpturen Prototype for New Understanding (1998-2003), einer Serie von Masken, die aus zerlegten Nike Air Jordan Basketballschuhen genäht sind. Die Objekte erinnern an zeremonielle Masken der Nordwestküstenindianer, wie sie aus ethnologischen Sammlungen bekannt sind. Die Farben schwarz, weiß, rot der Turnschuhe korrespondieren mit den ästhetischen Codes der indigenen Nordwestküstenkunst. In seinem Überdenken von Tradition fordert Jungen Erwartungen an einen (anti-)nostalgischen Stil heraus.
Auch Shapeshifter (2000) und Cetology (2002), museologisch anmutende Wal-Skelette, die aus billigen, weißen, universell verbreiteten Plastikstühlen gebaut sind, stehen emblematisch für diese Praxis. In ihrer mimikryhaften Äußerlichkeit verbreiten sie die Aura von Präparaten aus einem naturhistorischen Museum und verbinden das Motiv (Wal) mit der Mythologie einer indigenen Nordwestküstenbevölkerung. Gleichzeitig aber positioniert Jungen seine Arbeiten weder im noch gegen den Diskurs “Ethnologie”, sondern diskutiert Hybridität als Bedingung von Kulturgeschichte.
Durch die mehrfache Verschiebung des Kontexts dirigiert Jungen die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen auf den materiellen und ästhetischen “Ursprung”, so dass der Charakter eines Artefakts in den Hintergrund tritt.
Jungen nutzt gewöhnliche industrielle Produkte, die überall erhältlich sind, als Ausgangsmaterial für seine Arbeiten. Die Verwandlung der Produkte weist auf ihre ihnen eigene Doppelfunktion als Gebrauchsgegenstände und für den Hersteller gewinnbringende Waren hin. Sie thematisiert so die Praxis des globalen Kapitalismus, menschliche Arbeitskraft, Ästhetiken und Rohstoffe zu funktionalisieren: Nike-Turnschuhe oder Plastikstühle werden vorwiegend in den ärmsten Ländern der Welt von Billigarbeitskräften hergestellt.
Ein Hinweis auf das globale Netz von Gebrauchsgegenständen findet sich auch in der Arbeit Untitled (2001). Die Skulptur ist aus einem Stapel von zehn Paletten gebaut, welche dieselbe Größe haben wie Paletten, die als Unterlage für Transporte verwendet werden. Die verwendete Holzart zeigt allerdings, dass die Arbeit gleichzeitig in ein ästhetisches Objekt transformiert wurde, das an die Minimal Art der 1960er-Jahre erinnert: Sie ist aus rotem Zedernholz gefertigt. Hier dreht sich die Logik um: die fast gebrauchsgegenständlich erscheinende Arbeit ist aus einem wertvollen, raren Rohstoff – Zedernholz ist eine der teuersten Holzarten – hergestellt.
Die Ausstellung in der Secession, die die erste große Präsentation der Arbeiten Brian Jungens in Europa ist, zeigt einen Überblick seiner Arbeiten. Neben einer Auswahl aus der Serie Prototypes for New Understanding und der Skulptur Untitled wird in den Galerieräumen der Secession ein drittes Walskelett zu sehen sein, das Jungen eigens für die Ausstellung in der Secession konstruiert hat.
geboren 1970, lebt und arbeitet in Vancouver.