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Gruppenausstellung
Belgrade Art Inc. – Momente des Umbruchs
2.7. – 5.9.2004

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Belgrade Art Inc. – Momente des Umbruchs, Ausstellungsansicht, Secession 2004, Foto: Pez Hejduk

Die Ausstellung gibt Einblicke in zeitgenössische Kunstpositionen aus Belgrad, mit ihren Verbindungen zu Zagreb und Novi Sad, und erkundet ihre geschichtlichen Ursprünge und Vorbilder. Besonderes Interesse erfahren dabei nichtlineare Augenblicke des Umbruchs über einen längeren Zeitraum hinweg, und zwar von den zwanziger Jahren bis heute. In dieser Zeit war die zeitgenössische Kunstproduktion in Belgrad, die vor allem auf Eigeninitiativen von KünstlerInnen beruht, an einem engen internationalen Austausch beteiligt.

 

In Belgrade Art Inc. sind die unterschiedlichen Ansätze, mittels derer Belgrader KünstlerInneninitiativen damals und heute Kontexte für die Kunst- und Theorieproduktion geschaffen haben, präsent. So werden Bezugsräume abgesteckt und ein Netz von Beziehungen sichtbar gemacht, durch das die individuelle Positionierung der KünstlerInnen auch in fremden und universalen Bezügen lesbar gemacht wird. Belgrade Art Inc. stellt drei Gruppenprojekte und dreizehn individuelle Positionen (bzw. Kooperationen) vor.

 

 

Sowohl bei der historischen Künstlergruppe Zenit, als auch bei den Künstlern Mrđan Bajić, Milorad Mladenović, Škart group und Mileta Prodanović geht es auf unterschiedliche Weise um Urbanität und archaische Gegenstücke. Milorad Mladenović arbeitet mit Aufnahmen von übermalten Graffitis aus dem Belgrader Stadtraum. Die einzelnen Fotos stellt er zu Sequenzen zusammen, die wiederum eigene Zeichenketten und Alphabete ergeben. Mileta Prodanović ist mit Fotografien und Aquarellen in der Ausstellung vertreten. Die Fotografien zeigen immer wieder das Motiv eines Engels, das in Belgrad sehr präsent ist. Es handelt sich dabei um einen Ausschnitt aus einem Fresko im Mileseva Kloster, das in den letzten Jahren, in der Zeit der Renationalisierung und -religionisierung massiv im Stadtraum, in Zeitschriften, auf Logos und Produktverpackungen aufzutauchen begann, allerdings ohne Hinweis auf seinen Ursprung, lediglich zum Symbol reduziert. In den Aquarellen zitiert Prodanović Stadtburgen historischer Gemälde und Fresken und kombiniert diese mit der heutigen Konsumkultur: er etikettiert sie mit Logos.

 

 

Škart group ist eine Künstlergruppe aus Belgrad, die das Thema Stadt sowohl in kleinen, grafisch elaborierten, Publikationen als auch in direkten Aktionen im Stadtraum diskutiert. Anlässlich der Ausstellung erscheint eine Druckschrift, die von einem Performer während der Eröffnung verteilt wird. Tito, Richard Burton und ein Belgrader Buchhändler spielen die Hauptrollen. In einer absurden Szene wird die momentane politische Orientierungslosigkeit in Serbien offenbart.

 

 

Mrđan Bajić erlangte in den letzten Jahren internationale Beachtung mit dem work in progress Yugomuzej (1998/2002). Das Projekt ist ein virtuelles Museum, unterirdisch des Slavia Platzes in Belgrad gedacht, in dem Reliquien der jugoslawischen Geschichte in einer räumlich-skulpturalen Gesamtlösung ausgestellt werden sollen. Die Arbeit wird in der Secession als Installation gezeigt, in die auch eine CD-Rom integriert ist. Sie ermöglicht einen virtuellen Rundgang durch das Yugomuzej. Dieses Projekt verknüpft die Themen “Stadt” und “Denkmal” mit Aspekten von Ideologie und Geschichte.

 

 

Ähnliche Themen finden sich auch in den Arbeiten von Milica Tomić, Mihael Milunović und Milica Ružićić. Milica Tomićs Arbeiten sind in den letzten Jahren international vielfach ausgestellt worden. In der Secession zeigt Tomić das Video On Love Afterwards (2003), das Interviews mit PartisanInnen, die während des Zweiten Weltkriegs im Volksbefreiungskampf aktiv waren, dokumentiert. Diese Arbeit über das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart benennt direkt das politische System der damaligen Sozialistischen Republik Jugoslawien, deren Politik zwar nicht demokratisch, aber liberaler als die des übrigen sozialistischen Osteuropa war und insofern durchaus kritische, konzeptuelle Kunst gestattete, bzw. sogar förderte.

 

 

Mihael Milunović ironisiert mit Fahnen, die an den Masten vor der Secession hängen, ideologische Zeichen, indem er Symbole in einer unüblichen und verstörenden Art kombiniert. Man erkennt Elemente bekannter Flaggen, aber sie repräsentieren kein System. Der Künstler versucht nicht nur zu dekonstruieren, wie politische Zeichen entstehen, sondern hinterfragt auch den rituellen und fetischistischen Kult, der speziell mit Fahnen verbunden ist.

 

 

JK (2003) von Milica Ružićić ist eine lebensgroße Skulptur, die eine “real existierende” Turbofolksängerin darstellt und als Ikone überhöht. Turbofolk, eine laute Kombination von Volksschlager und modernster Soundproduktion ist eine in Serbien sehr populäre Musikform, die die Belgrader Society-Medien seit den neunziger Jahren dominiert.

 

 

Auch Mirjana Ðorđević untersucht in ihren installativen Arbeiten Phänomene öffentlicher Kommunikationsformen: The SMS Archives (2004) überträgt SMS-Nachrichten in ein anderes Medium und exponiert die privaten Mitteilungen als großformatige Annoncen.

 

 

Das Thema Identität, das seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre in Belgrad das dominierende in der Kunst war, adressieren die Arbeiten von Uroš Ðurić und Miodrag Krkobabić. Uroš Ðurić affirmiert in dem Zyklus Elkepop künstlerische Strategien von Elke Krystufek: Die Malerei zeigt sein Selbstportrait (auch in früheren Arbeiten nahm der Künstler verschiedene Rollen ein, u.a. Fußballer, VIP oder Kasimir Malevitch) in Kombination mit Textzitaten. Die Idee zum Projekt entstand in engem Austausch mit Elke Krystufek und wurde als Doppelpersonale erstmals 2003 im Salon des Museums für Gegenwartskunst, Belgrad, gezeigt.

Necrospection (2000) von Miodrag Krkobabić ist ein work in progress und besteht aus einer Reihe von Todesanzeigen, die, beginnend mit dem Jahr der Geburt des Künstlers, jedes weitere Lebensjahr als potenziell letztes dokumentieren.

 

 

Marina Abramović, Raša Todosijević und Braco Dimitrijević nehmen sowohl in der künstlerischen Praxis der siebziger Jahre als auch heute eine zentrale Position ein. Ihre Arbeiten zeugen von einem Verständnis künstlerischer Produktion als einen möglichen Austragungsort für gesellschaftliche Konflikte und von der Notwendigkeit, thematische Bezüge sowohl aktuell als auch in ihrer historischen Dimension zu denken.

Die drei Gruppenprojekte in der Ausstellung sind Zenit, das dadaistische Magazin aus den zwanziger Jahren, das in Zagreb und Belgrad erschien und das neue Text- und Grafikbeiträge von Malevitch, Marinetti, Tatlin, Archipenko, Loos, Kandinsky und Moholy-Nagy in Auftrag gab; die Ausstellung mit dem Titel In Another Moment, von Braco und Nena Dimitrijevic 1971 mit den Künstlern Lawrence Wiener, Daniel Buren und Art & Language im damals neuen Belgrader Studentischen Zentrum (SKC) veranstaltet, das daraufhin zu einem international angesehenen und frequentierten Ausstellungsort wurde; und das kuda.org media center, das gegenwärtig in Novi Sad ein Programm von Lesungen und Präsentationen von KünstlerInnen, MedienaktivistInnen, TheoretikerInnen, WissenschaftlerInnen und ICT-ForscherInnen organisiert. Einerseits stellen diese Projekte einen wichtigen Bezugspunkt für gegenwärtige und folgende Generationen dar, andererseits dienen sie als Paradigma, um das Klischee einer hermetisch abgeschlossenen Szene zu widerlegen. Indem die Ausstellung die KünstlerInnen präsentiert, bemüht sie sich, einer eindimensionalen, monopolisierenden Interpretation mit einer komplexeren und emanzipierteren Version zu begegnen, die das prädikative und iterative Schema institutioneller, linearer Kunstgeschichten neu erfasst.

 

 

KünstlerInnen im Belgrad der 1990er-Jahre mussten in einer über Jahre “eingesperrten Gesellschaft” (closed society) eine Szene aufrechterhalten bzw. neu aufbauen, was durch finanzielle und strukturelle Ausgrenzung, Isolation, die Unmöglichkeit zu reisen etc. eingeschränkt worden war.

 

 

Mit dem Bestreben, die Positionen der zwanziger und siebziger Jahre zu integrieren und die internationale Zusammenarbeit und Vernetzung der KünstlerInnen in den Vordergrund zu stellen, will die Ausstellung der closed society Momente des Umbruchs entgegenstellen. Gleichzeitig bemüht sich diese Herangehensweise um Perspektiven jenseits einer ethnizistischen Lesart.

 

 

Ausstellungsarchitektur: Kühn Malvezzi




Künstler*innen
Marina Abramović
Mrđan Bajić
Braco Dimitrijević
Mirjana Ðorđević
Uroš Ðurić
Miodrag Krkobabić
Elke Krystufek
kuda.org
Little Warsaw

András Gálik (geboren 1970) und Bálint Havas (geboren 1971) leben und arbeiten in Budapest.

Mihael Milunović
Milorad Mladenović
Mileta Prodanović
Milica Ružićić
Škart group
Raša Todosijević
Milica Tomić
Zenit
Programmiert vom Vorstand der Secession


Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
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Tel. +43-1-587 53 07