Anne Speier
14.9. – 4.11.2018
Die Arbeiten von Anne Speier dokumentieren häufig, wie sich Objekte und Figuren dehnen und verformen, um einerseits die Grenzen der ihnen zugeschriebenen Bedeutung, ihre Möglichkeiten und Beziehungen zueinander zu verstehen und andererseits über sie hinauszugelangen. Genauso dehnt die Künstlerin aber auch die Medien selbst, mit denen sie arbeitet. Ästhetik ist dabei ein Mittel, bestimmte Erwartungen auszuhebeln, Absurdität und Andersartigkeit sind ein anderes.
In ihrer Ausstellung im Untergeschoss der Secession verschränkt Anne Speier Malerei und Skulptur zu einer Form von utopischer Architektur, deren räumliche Bedingung mit ihrer metaphorischen Bedeutung kurzgeschlossen wird.
Die Ausstellung untersucht die Herausforderungen, vor die Lehrende und Studierende sich an einer Bildungsinstitution für Kunst gestellt sehen. Dazu folgt sie Bildern und Installationen, die als psycho-emotionale Topografien dem Misstrauen gegen die Kunstausbildung und damit der Hierarchisierung von Ästhetik einen ambivalenten Wunsch nach der Verantwortung entgegensetzen, die es braucht, um die umgebenden Dinge zu sezieren und daraus Neues schaffen zu können.
Ausgangspunkt ist ein leerer Raum, dargestellt in einer Serie von industriell gefertigten Siebdrucken, die einem Farbalgorithmus folgen und auf verschiedene Medien gedruckt sind. Aus diesen Elementen werden dem bestehenden Keller Gebäudeteile zugefügt: Das sind Außenfassaden, die hartnäckige Klischees thematisieren, Nischen, in denen sich Szenen einer Schulaufführung abspielen, Dächer und weitere Untergeschoße. Die Mitte des Raumes, der zentrale und repräsentative Teil der Ausstellungsinstitution, bleibt im übertragenen Sinne leer.
Im ersten Raum der Ausstellung wird das Gefühl eines Gebäude-„Außens“ anhand einer Dreiergruppe von Malereien dargestellt. Zwei Bilder, rechts und links, zeigen Figuren, die ein Haus oder eine Institution stützen. Hier ist die Referenz eine Szene aus Agnès Vardas Film „Les dites cariatides“ von 1984 und die titelgebende Karyatide, die Skulptur einer weiblichen Figur mit tragender Funktion in der Architektur. Solche Figuren sind häufig symmetrisch zueinander aufgebaut, aber selten identisch, wenn sie als Türsteherinnen ein Portal stützen oder ein Fenster umranden. Dass sie dabei gut aussehen und relativ entspannt wirken, machte sie für Varda interessant. Dass Arbeit im Endergebnis häufig nicht als solche erkennbar ist, ist Thema eines Bildes zwischen den Karyatiden, das die fragwürdigen Fiktionen anspricht, die im Unbewussten der Kunstproduktion schlummern. Auf dem Bild ist eine Gruppe von Frauen zu sehen, die Tee trinken und gleichzeitig ein Gebäude zerlegen: Fleiß ist die hässliche Schwester des Genies. Die Vogelperspektive suggeriert die Überschaubarkeit von Strukturen, deren versteckte Regeln und Mechanismen jetzt offengelegt werden.
Die Bilder mit Randale-artigem Ambiente, die dazwischen auftauchen, gehen dem Motiv nach auf eine South-Park-Folge vom September 2017 zurück. Sie beginnt mit einer Szene, in der alle Schülerinnen und Schüler der Highschool die Spinde umwerfen und das umherfliegende Papier anzünden, als Protest gegen die Abschaffung eines politisch unkorrekten Feiertags. Die Episode nimmt die gesamte Kurve von Paranoia über die latenten eigenen Ambivalenzen bis hin zum kontraproduktiven Gewaltausbruch. Der riot hier ist ein Ausdruck des Trotzes, der, wenn auch nicht zielführend, ein gutes innerliches Bild für die Fantasie abgibt, sich nicht zu fügen oder nicht funktionieren zu wollen. Brennendes Papier taucht in Anne Speiers Bildern häufiger auf, es schwebt über den Figuren wie ein sanfter Hinweis auf die immer mögliche Veränderung.
Das Bild mit dem Hahn kann die Funktion übernehmen, die Aufdringlichkeit einer in die Kunst transportierten Behauptung zu repräsentieren, während ein sterbender Hummer später ganz gut zeigt, wie die gemalte Figur dem Raum nur aufgesetzt ist. Darüberhinaus bedeutet es den Auftakt zur Schulaufführung, die in den Malereien im großen Raum fragmentarisch dokumentiert wird. Es sind Momentaufnahmen einer Reihe von misslungenen oder zumindest noch nicht ganz funktionalen Szenen eines Musicals. Die Storyline knüpft sich lose um das Bestellen eines Hummers in einem schlechten Restaurant. Es bricht Panik aus unter allen Anwesenden (Kochenden, Kellnernden, Gästen, Besitzern, Tieren), weil das als Ereignis vorher noch nie passiert ist. Der Hummer muss nun Abschied nehmen vom Leben sowie die Restaurantbetreiberin von der Idee der Einzigartigkeit und davon, ein gutes Restaurant zu führen, und der Gast von der Idee des guten Geschmacks. In den Bilder/Nischen an den Wänden kann man nachverfolgen, wie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen als echte und unechte Hummer und andere Tiere in Elegien über Liebe, Tod und Revolte verfallen und, wenn man will, damit Schlüsselmomente ästhetischer Erziehung ins Bild setzen, die nie unabhängig von einem Kanon formaler Codes agieren kann und somit neben der Kunst auch den sozialen Habitus organisiert.
Die Dachskulpturen der Bodeninstallation treiben das Anfechten und Infragestellen der Grenzen des Raumes/der Institution weiter, sie stoßen an Hierarchien als raumgebende Strukturen, denen sie sich beugen, die sie aber auch ignorieren oder missachten. Was hier ganz offensichtlich passiert, ist eine Verschiebung der Mitte. Die mit den Räumen bedruckten Bodenplatten fügen dem Untergeschoss der Secession ein weiteres Sublevel hinzu, während die Dächer den Keller selbst zum mittleren Stockwerk machen. Der so entstandene Raum bleibt leer und kann als Krise der bestehenden Ordnung verstanden werden oder auch als Freiraum, in dem dann zukünftig etwas passieren kann, zum Beispiel die eigene Kunst.
Erziehung, künstlerisches Arbeiten und das Unbewusste, das klassischerweise im metaphorischen Untergeschoß zu Hause ist, dreiteilen hier eine mögliche Version postmoderner Subjektivität. Die Kellerinstallation benutzt diese Faktoren, um die mutmaßlich geklärte Beziehung zwischen Individuum und der Institution gegen ihre Unberechenbarkeit auszuspielen.
(Text: Inka Meißner)
geboren 1977 in Frankfurt am Main, studierte dort an der Städelschule und lebt derzeit in Wien.