Alexandra Bircken
Unruhe
13.9. – 10.11.2019
Leitmotive im Werk von Alexandra Bircken sind der menschliche Körper und seine verschiedenen Hüllen, die als Haut und als Bekleidung seinen Bezug zur Welt definieren. In ihren bildhauerischen Untersuchungen widmet sie sich vielfach der Frage nach der Grenze zwischen Innen und Außen und wie sie als permeable Membran, Schnittfläche und Nahtstelle gefasst werden kann.
Für ihre Ausstellung Unruhe hat Bircken zahlreiche neue Arbeiten entwickelt, die Themen wie Geschlecht, Körper und Maschine, Macht und Verletzlichkeit miteinander verweben.
Deflated Figures (Rosa/Blau) ist das jüngste Werk in einer seit 2014 entwickelten Serie von Installationen aus Latexanzügen, die mit der Widersprüchlichkeit zwischen leeren Körperhüllen und der gespenstischen Anwesenheit des Körperlichen, die in den Hüllen existiert, spielen. Durch die Farbgebung der Figuren in stereotypem Rosa und Hellblau und die variabel aus- und einstülpbaren Geschlechtsmerkmale untersucht die Künstlerin gendergebundene Klischees. In der Unmittelbarkeit der Gegenüberstellung mit den lebensgroßen Figuren werden die BetrachterInnen und ihre Körper dabei zu aktiven TeilnehmerInnen der Inszenierung.
Der Aspekt, dass die BetrachterInnen den Raum der Objekte teilen und zu einem sichtbaren Element der Arbeiten werden, kennzeichnet auch die Drucke auf spiegelpoliertem Edelstahl. Die Darstellungen der Strickobjekte operieren buchstäblich mit der Selbstreflexion der BetrachterInnen. Ihre Anwesenheit im Spiegel verstärkt durch die Verlagerung der verschiedenen Körper die Assoziation von Kleidungsstücken. Zugleich wirken die Strickobjekte allerdings seltsam unpassend, funktionslos und zweckbefreit. Gezielt spielt Bircken hier die Materialität des Abgebildeten und die der Abbildung gegeneinander aus. Die warme, haptische Qualität des Textilen trifft auf das kalte, flächige Metall.
Birckens Oeuvre zeugt von einem großen Interesse für Fragmente und Schnittstellen, in denen sie neben der Struktur und Materialität der Oberflächen immer auch die Verletzlichkeit der Körper hervortreten lässt. In den Objekten der Ausstellung fokussiert sie insbesondere auf das Zusammenspiel zwischen den Schnitten und Zerteilungen der Objekte und den sie wieder verbindenden Scharnieren und Gelenken. An sich steife, stabile Objekte werden in eine Beweglichkeit und Flexibilität überführt, die – liest man sie als Symptom unserer heutigen Zeit – auf die permanente Anforderung, sich anzustrengen, zu dehnen und zu (ver-)biegen, und die damit verbundene innere Unruhe verweisen.
Birckens Ansatz der Aneignung von Dingen und Stoffen zeichnet aus, dass diese stets ihre Selbstständigkeit behalten, aber zugleich in neue Zusammenhänge überführt werden. Indem die Künstlerin eine Vielzahl einzelner Elemente miteinander verschränkt, weist sie ihnen andere, oft befremdliche Identitäten zu. Dieses Aufeinandertreffen disparater Dinge kennzeichnet die Konzeption ihrer Ausstellung ebenso wie die Beschaffenheit einzelner Skulpturen. So montierte Bircken an eine Yamaha-R6-Rennmaschine anstelle der Räder geschwungene Holzkufen, so dass sich die Maschine wie ein Schaukelpferd vor und zurück bewegt und trotz des funktionstüchtigen Antriebs nicht von der Stelle kommt. Bircken nutzt die sinnliche Stofflichkeit ihrer Materialassemblagen ebenso wie die symbolischen Eigenschaften, um teils gegenläufige Assoziationsketten zu erzeugen: Das Motiv der Maschine als Machtinstrument und Vehikel für Rausch und Freiheit verknüpft sie mit Konnotationen des Kindlichen, Handwerklichen und Organischen.
Anlässlich ihrer Ausstellung hat Bircken zudem ein Künstlerbuch konzipiert, das ihren Tagebuchkalender aus dem Jahr 1986 reproduziert. Die winzige, enge Handschrift zeigt die Gedanken der damals 18-jährigen Künstlerin, ihre jugendliche Identitätsfindung und Lebensplanung. Passagen, die ihr zu privat erscheinen wurden von der Künstlerin geschwärzt – ein zeichenhafter Zusatz, eine Zeichnung, der die beiden Zeitebenen, die 33 Jahre auseinander liegen, zusammenzurrt.
geboren in Köln, lebt und arbeitet in Berlin und München.