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Andrea Bowers
The Weight of Relevance
22.2. – 15.4.2007

https://secession.at/items/uploads/images/1661770574_Oms4aVbao.jpeg
Andrea Bowers, The Weight of Relevance, Ausstellungsansicht, Secession 2007, Foto: Pez Hejduk

Die amerikanische Künstlerin Andrea Bowers begreift Kunst und Politik nicht als separate Wirklichkeiten, sondern als Bereiche, die sich wechselseitig beeinflussen. Ihr Interesse an unterschiedlichen Formen gewaltlosen Protests, zivilen Ungehorsams und Feminismus ist von einem historischen Bewusstsein sowie einer archivarischen Neugierde gegenüber der Geschichte des politischen Aktivismus und seiner visuellen bzw. körperlichen Sprache motiviert. Dieses Interesse bestimmt auch ihr Handeln innerhalb des Kunstsystems und ihre ästhetisch wie inhaltlich sehr präzise ausformulierte Kunst. Mit Bowers Projekt für die Secession führt sie ihre Erkundung der Schnittfläche von Aktivismus und Kunst fort. Die Ausstellung behandelt die Menschen, die den AIDS Memorial Quilt ausstellen und den Lagerraum beaufsichtigen, in dem dieses kulturelle Artefakt aufbewahrt wird.

 

Der AIDS Memorial Quilt ist ein Quilt von enormen Ausmaßen, der von Tausenden von Menschen in der ganzen Welt angefertigt wurde, um an das Leben zahlloser Menschen zu erinnern, die an AIDS gestorben sind. Der Quilt wiegt über 54 Tonnen und besteht aus jeweils 3,5 Quadratmeter großen Blöcken (oder Sektionen). Jeder dieser Blöcke besteht aus acht individuell zusammengenähten Stoffteilen, von denen jedes ca. 1×2 Meter groß ist. Jedes Stoffteil hat die Größe eines Grabes und ist mit einem Namen versehen. Die Idee des Quilts wurde erstmals 1987 entwickelt, um der Toten zu gedenken und um Aufmerksamkeit für eine Krankheit zu fordern, die sich damals begann, unter den Homosexuellen in San Francisco auszubreiten. Auf vielen der ursprünglichen Stoffteile stand wegen der Stigmatisierung der Krankheit nur ein Vorname. Während einzelne Teile immer noch jedes Jahr in Schulen, Kirchen und Firmen ausgestellt werden, ist der Quilt seit dem 11. Oktober 1996 auf der Washington Mall in Washington DC nicht mehr in seiner Gesamtheit gezeigt worden.

 

Für ihre Ausstellung hat Bowers neue Videoarbeiten sowie Zeichnungen geschaffen. Die Zeichnungen sind als Einheiten von 90×180 cm konzipiert und werden teilweise auf dem Boden präsentiert, was auf die ursprünglichen Stoffteile und die Ausstellungsweise des Quilts verweist. In ihren Videos konzentriert sich Bowers auf eine Aktivistin, die als Mitarbeiterin von Anfang an den Quilt genäht und erhalten hat.

 

Andrea Bowers interessiert sich in diesem Projekt vor allem für die brüchige Balance der Rolle, die der Quilt gegenwärtig einnimmt: Die Menschen, die sich um den Quilt kümmern – eine Organisation von früher 52 MitarbeiterInnen, die inzwischen auf weniger als zehn Personen zusammengeschrumpft ist – versuchen, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen der Konservierung eines kulturellen Artefakts und der Nutzung als ikonisches Instrument des Aktivismus herzustellen. Historisierung ist nicht notwendigerweise negativ – vielmehr handelt es sich um eine unvermeidbare Veränderung. Weil die Krankheit noch nicht heilbar ist, hat der Quilt mittlerweile eine Größe, die nicht mehr handzuhaben ist. Der Quilt wurde über zehn Jahre nicht mehr gezeigt, weil es zu teuer wäre, ihn auszustellen; auch wäre es schwierig, einen ausreichend großen Ort dafür zu finden. Zudem hat sich die Emotionalität und Dringlichkeit seit Beginn des Projekts verändert. Die Mehrheit der MitarbeiterInnen sind jetzt Frauen, was zu Reflektionen über die simultanen Rollen von Frauen als Pflegerinnen, Aktivistinnen und Künstlerinnen Anlass gibt.

 

In ihrer Dreikanalprojektion The Weight of Relevance kombiniert Bowers Interviews mit überwiegend weiblichen Mitarbeiterinnen des Projekts und Material, welches die Lagerung des Quilts beschreibt. Fast nirgends in Andrea Bowers Ausstellung wird ein offener Quilt oder ein Name zu sehen sein. Eine Ausnahme bildet ein Videoloop über die Schneiderin, die Ausbesserungen vornimmt. Die ursprüngliche Absicht hinter dem Quilt war, die Namen derjenigen ins Bewusstsein zu rufen, die deshalb gemieden und ignoriert wurden, weil sie an einer stigmatisierten Krankheit starben. Bowers Installation zeigt, wie zwanzig Jahre später diese Namen nun wiederum verschwiegen werden, denn die Demografie der Krankheit hat sich verändert und der Quilt verschwindet langsam aus der Öffentlichkeit.

 




Künstler*innen
Andrea Bowers

geboren 1965, lebt und arbeitet in Los Angeles.

Programmiert vom Vorstand der Secession


Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07