Norbert Brunner-Lienz
Im Spiegel der Psyche
4.7. – 7.9.2003
Ein charakteristisches Element der Arbeiten von Norbert Brunner-Lienz ist die Auseinandersetzung mit Sprache. In seinen Audioinstallationen und experimentellen Hörspielen aber auch seinen Zeichnungen und literarisch-künstlerischen Texten werden psychologische, ikonografische, mythologische und fantastische Elemente und Bedeutungen dekonstruiert und transformiert. Auf diese Weise entstehen komplexe analytische und zugleich ästhetisch-poetische Sprachbilder, die neue Beziehungsfelder zwischen Ikon, Index und Symbol freisetzen und Text als ein in der bildenden Kunst bespielbares und formbares Material und Medium fassen.
In der Secession zeigt Norbert Brunner-Lienz das Projekt Im Spiegel der Psyche, das einen Zyklus von Zeichnungen und ein experimentelles Hörstück vereint. Der Text des Hörstücks bildet die Grundlage für die Erzählungen in den Zeichnungen.
Im Mittelpunkt steht im mehrdeutigen Sinn die Psyche. Abgesehen von der Bedeutung des Wortes für seelische Vorgänge und geistige Funktionen, bezeichnet “Psyche” in Österreich einen mit einem Spiegel versehenen Frisiertisch. In Brunner-Lienz’ Bildern zeigt sich im Spiegel der “Psyche” ein Schlafzimmer mit den darin vorhandenen Möbelstücken, dessen beklemmende Stimmung drei zentrale Themen – Angst, Einsamkeit und Sexualität – heraufbeschwört. Die Aura des Unheimlichen speist sich aus der Darstellung der Möbel als fantastisch zum Leben erweckte und paradox ausgestattete Protagonisten in einer schlaflosen Situation, aber auch aus den Geschichten, die den Möbeln eingeschrieben bzw. von diesen erzählt werden.
Jedes der Möbelstücke erzählt eine eigene Geschichte – eine Ausformung des nächtlichen Wachens mit seinen absurden Implikationen –, die mit ikonografischen Elementen, mit banalen Wortspielen, oder mit mythologischen Bezügen aufgeladen ist.
Die Scharniere bzw. Ecken und Füße der Möbel sind als menschliche Extremitäten dargestellt. Die Wände und die Möbel haben Hände und Füße, das Metronom ein Ohr. Alle diese Details erfüllen Funktionen im angesprochenen Kontext.
Die einheitliche blau-weiß gestreifte Darstellung der Möbel erinnert daran, dass das Zimmer, eigentlich dem Schlaf gewidmet, diesen nicht gestattet, vielmehr in der Schlaflosigkeit verdrängte Eindrücke und Ängste erscheinen und sich willkürlich neu zusammensetzen. Die blau-weißen Streifen erinnern ebenso an einen Pyjama, den auch der Künstler, der sich als Bettvorleger in eine der Zeichnungen gesetzt hat, trägt. Als Verbildlichung des Ungreifbaren des Unbewussten verschmilzt das Subjekt mit den Objekten.
Im Bett liegt eine Bombe, darüber hängt ein Bild, das das Bergmassiv Rosengarten, in der germanischen Sage Reich des Zwergenkönigs Laurin, explodieren lässt. Aus dem Kasten lugt eine Gummipalme, die das Klischee der einsamen Insel wach werden lässt. Man sieht den Künstler selbst auf hoher See, den Fuß des Bettes auf dem Kopf tragend, wobei dieses Sujet auf Themen aus dem Alten Testament und deren Darstellung in der Romanik anspielt. Die beiden Ursprungsgeschichten der christlichen Religion, die der Kreuzigung Jesu und die von Adam und Eva im Paradies, wurden oft miteinander verknüpft, so etwa, wenn Jesus stehend auf dem Kopf von Adam zu sehen ist.
Das Nachtkästchen, mit einem Vlies und einem Tal, der kindlichen Darstellung des Emmentals, bedacht, verweist auf die griechische Sage um den Argonauten Jason, ist aber natürlich auch Symbol von Sexualität. Geöffnet zeigt es die Szene eines kleinen, Trompete blasenden Jungen, für die ein Bild von Kippenberger genauso wie das Buch Gargantua und Pantagruel von Rabelais Inspiration waren, und die mit der buchstäblichen “Lautmalerei” auch auf den ersten Schrei nach der Geburt anspielt. Die Lampe nimmt Bezug auf Leonardo da Vincis Madonnenbilder und Sigmund Freuds Studie Eine Kindheitserinnerung Leonardo da Vincis, die für gewöhnlich als Modellfall einer psychoanalytischen Interpretation von Kunstwerken angesehen wird.
“In ihrer mühsamen Konstruiertheit und mit ihren vielfachen Überarbeitungen sind sie [die Zeichnungen] das genaue Gegenteil von lockeren Entwürfen und zarten Andeutungen. Die Psyche wird zu einer quälenden Formation, die eben dadurch, dass sie keinen Anfang und kein Ende hat, nicht wirklich repräsentierbar ist, sondern nur mühsam in den Raum gedrängt wird, zusammengehalten nur durch die unzähligen Querverweise und Löcher, die in andere Ebenen führen.” (Martin Prinzhorn)
Im grafischen Kabinett greift die Hängung der Zeichnungen und die Positionierung eines Spiegels als zentrales Moment im Raum die Absurdität der ganzen Szenerie nochmals auf. Im Treppenaufgang zum Grafischen Kabinett ist der Text, aus dem heraus die Bilderserie entstanden ist, als Soundinstallation zu hören. In Kooperation mit dem Ö1-Kunstradio hat Norbert Brunner-Lienz aus dem Text ein Hörstück für vier Stimmen (die Anzahl der Stimmen referiert auf die Anzahl der Möbel im imaginären Zimmer) komponiert, das auch im Kunstradio gesendet wird (6.7. 2003, 11-12 Uhr, Im Spiegel der Psyche, Kunstradio Ö1 und Online Artradio).
geboren 1959, lebt und arbeitet in Innsbruck und Wien.