Lawrence Abu Hamdan
Green Coconuts and Other Inadmissible Evidence
8.12.2020 – 14.3.2021
Lawrence Abu Hamdan beschäftigt sich sowohl in seiner künstlerischen Arbeit wie auch als Audioermittler mit Sound, Sprache, Erinnerung und der Suche nach Wahrheit im Kontext der rechtlichen und humanitären Krisen der Gegenwart. Ein zentrales Thema, das sich durch viele Arbeiten zieht, seien es Sound- oder Videoinstallationen, Objekte oder recherchebasierte Dokumentationen, ist seine Auseinandersetzung mit Fragestellungen zur Relevanz und Problematik von akustischen Indizien und den Berichten von OhrenzeugInnen im Rahmen der Beweisfindung vor Gericht. In der Ausstellung in der Secession geht der Künstler noch einen Schritt weiter. Er zeigt insgesamt vier Arbeiten aus zwei Werkgruppen, die sich mit dem Themenbereich der Zeugenaussage auseinandersetzen. Die Ausstellung bricht für andere Formen von Zeugenschaft eine Lanze, die den juristisch abgesteckten Rahmen für Augen- oder Ohrenzeugenaussagen sprengen und darüber hinaus auch insgesamt Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und Wahrheitsfindung herausfordern mögen.
Die audiovisuelle Installation After SFX (2018) entstand aus einer 2016 zusammen mit Amnesty International und Forensic Architecture unternommenen Untersuchung zum syrischen Foltergefängnis Saydnaya. Abu Hamdan interviewte ehemalige Häftlinge und erstellte mit ihnen ein Soundarchiv des Gefängnisses, das Rückschlüsse über die Architektur, die Haftbedingungen, die Anzahl der Gefangenen etc. geben sollte.
Dieses Projekt veränderte sein Verständnis von der Komplexität von Erinnerung und Zeugenschaft grundlegend und gleichzeitig entwickelte er dabei die konzeptuellen Werkzeuge, die die Arbeit an den nachfolgenden Werken, die sich mit Zeugnissen wiedergeborener Menschen beschäftigen, erst ermöglichten.
Die erste Arbeit in der Reihe ist Once Removed (2019). Die Zweikanal-Videoinstallation zeigt den Künstler im Gespräch mit Bassel Abi Chahine über dessen umfangreiches Archiv. Der junge Historiker arbeitet wie besessen daran, die Geschichte der libanesischen Volksbefreiungsarmee in ungeahnter Detailschärfe zu erforschen, um Material zutage zu fördern, das Flashbacks und unerklärliche Erinnerungen aus einem früheren Leben erklären kann. In seiner vorherigen Inkarnation war er der Soldat Yousef Fouad Al Jawhary, der 1984 mit nur 16 Jahren bei einem Kampfeinsatz ums Leben kam. Obwohl Bassel sich an viele Ereignisse in seinem Leben als Yousef erinnern kann, hat er keine Vorstellung, wie er aussah.
Im Zusammenhang damit steht die zweite Arbeit, das Video A Speculative Portrait (for a boy who returned without his face) (2020), das einen Gesichts-Rekonstruktionsversuch zeigt: Anhand eines Kinderfotos wurde das mögliche Aussehen Al Jawharys als junger Erwachsener erstellt. Dieses Verfahren wird normalerweise angewandt, um auf das aktuelle Aussehen seit langer Zeit vermisster Personen zu schließen.
For the Otherwise Unaccounted (2020) ist eine Serie von grafischen Arbeiten, für die Abu Hamdan das Buch Reincarnation and Biology: The Etiology of Birthmarks von Dr. Ian Stevenson aus dem Jahr 1997 als Quelle diente, eine Sammlung von Fällen aus aller Welt, bei denen die Art, wie jemand zu Tode kam, bei der Wiedergeburt Spuren in Form von Muttermalen hinterließ. Die Abbildung dieser Muttermale in Prägedrucken lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie die Körper der Opfer von Unrecht und Gewalt, die aufgrund von kolonialer Unterdrückung, Korruption, Gesetzlosigkeit im ländlichen Raum oder Schlussstrichvereinbarungen in den Geschichtsbüchern nicht auftauchen, von ihrem Leid Zeugnis ablegen.
Die Arbeiten in der Ausstellung bieten einen anderen Blick auf die Begriffe von Zeugenschaft, Beweis und die Herstellung von Wahrheit, der auch einer anderen Art des Zuhörens bedarf. Der Künstler beschreibt die Absicht der Präsentation folgendermaßen: „Die Ausstellung als ganze entwickelt spezifische formale und ästhetische Strategien, um die Bedingungen zu schaffen, unter denen neue Arten von Zeugenaussage gehört werden können, die an den normalerweise für die Herstellung von Wahrheit und Geschichte vorgesehenen Schauplätzen deplatziert wären.“
geboren 1985 in Amman, Jordanien, lebt und arbeitet derzeit in Dubai (UAE).