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Elaine Reichek
Now If I Had Been Writing This Story
13.4. – 3.6.2018

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Elaine Reichek, Now If I Had Been Telling That Story, Ausstellungsansicht, Secession 2018, Courtesy of the artist, Shoshana Wayne Gallery, Los Angeles und Marinaro, New York, Foto: Oliver Ottenschläger

Seit mehr als vierzig Jahren arbeitet Elaine Reichek an einer kritischen und feministischen Lesart von Geschichte(n). Die analytische Auseinandersetzung mit historischen Texten und bildlichen Darstellungen aus Mythen und Literatur sowie die Reflexion ihrer gesellschaftlichen Funktion für den kulturellen Zusammenhalt ziehen sich durch das Werk der Künstlerin wie der Faden, den Ariadne Theseus überreichte, damit er aus dem Labyrinth des Minotaurs herausfand.

In ihrer ersten Einzelausstellung in Österreich zeigt die aus New York stammende Künstlerin Arbeiten der letzten elf Jahre, die den von ihr liebevoll so genannten „Mädchen aus Minos“ und den mit ihnen verknüpften Erzählungen von Lust, Verführung, Grausamkeit und Verrat gewidmet sind: Europa, Pasiphaë, Phädra und Ariadne – Frauen, deren tragische Schicksale in der Erzählung zwar von zentraler Bedeutung sind, die aber trotzdem zugunsten der männlichen Helden im Hintergrund stehen. Anders bei Reichek – sie stellt die Frauen in den Mittelpunkt und nähert sich ihnen und ihrer Komplexität, indem sie Interpretationen und Darstellungen aus vielen Jahrhunderten kompiliert und mittels eklektischer Arrangements aus bildender Kunst und Literatur die Charaktere von allzu engen Zuschreibungen befreit: Appropriation wird bei Reichek zu emanzipatorischer Strategie.

Reichek bedient sich einer Vielzahl unterschiedlicher Medien und bezieht Kunstwerke sowie literarische Werke aus allen Epochen in ihre Arbeit ein. Textile Techniken wie Sticken und Stricken zählen neben der konzeptuellen Arbeit, Fotografie und verschiedenen Drucktechniken seit den 1970er-Jahren zu ihren bevorzugten künstlerischen Mitteln.

Now If I Had Been Writing This Story baut auf Reicheks früheren Werkzyklen Minoan Girls (2012-16) und Ariadne’s Thread (2008-12) auf. Der Titel der Ausstellung ist dem Gedicht Phèdre der englischen Schriftstellerin Stevie Smith entliehen, die damit gegen Phädras tragisches Schicksal anschreibt und mit der Macht der Worte dem Wunsch nach einem glücklichen Ausgang zumindest Ausdruck verleiht.

Das formale und konzeptuelle Bindeglied der gezeigten Arbeiten – größtenteils handgestickte Bilder – ist bezeichnenderweise der Faden, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn: Der Faden der Ariadne, anhand dessen sich die Geschichte vom Labyrinth abwickelt und der Stickfaden, mit dem Reichek Bilder und Textpassagen zu flirrenden Bildkompositionen verwebt. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten zitieren unter anderen Werke von Gustav Klimt, André Masson und Henri Matisse und stellen diese Texten von Stevie Smith, Erika Mumford, Henry de Montherlant, Giorgio de Chirico und Nonnus, einem byzantinischen Dichter aus dem 5. Jahrhundert, gegenüber.

Reicheks wiederholte Bezugnahme auf Mythen als archetypische Geschichten verbindet sie trefflich mit der auf Wiederholung aufgebauten Tätigkeit des Stickens.

„Ebenso, wie man beim Nähen wieder und wieder einen Faden um ein Gewebesubstrat schlingt, wiederholen und recyceln wir diese Mythen über die Jahrhunderte immer wieder. Und ebenso, wie das Nähen auf der Rückseite des Stoffes eine unsichtbare Hintergrundgeschichte erzeugt, waren diese antiken Mythen – Ur-Erzählungen, die grundlegende innere Antriebe behandeln – stets offen für Analyse, Interpretation und Dekonstruktion. Es ist bereits eine sehr alte Methode, Geschichten und Motive aufzulösen und neu zusammenzufügen, egal, für wie modern oder zeitgenössisch wir dieses Phänomen auch halten mögen.“ (Elaine Reichek, Auszug aus dem zur Ausstellung erschienenen Künstlerbuch).Reichek hatte sofort die strukturelle Ähnlichkeit von gerasterten digitalen Bildern und Vorlagen für Stick- oder Strickmuster erkannt und daher digitale Medien in ihre künstlerische Praxis integriert. So wie ein Pixel ist auch der einzelne Stich der Grundbaustein der visuellen Übertragung im künstlerischen Werk von Elaine Reichek: Ein gepixeltes Bild erinnert an ein Stickdiagramm, so wie die Stiche einer handgefertigten Stickerei auf ein JPEG rückverweisen, das dem Internet entnommen oder von einer gedruckten Quelle gescannt wurde. Obwohl die digitale Technologie die Möglichkeiten für Recherche, Übersetzung und Produktion beschleunigt und erweitert hat, bleiben Reicheks Arbeiten materielle Objekte, die in der Geschichte des Fadens als Medium verwurzelt sind.

Das zur Ausstellung erscheinende Künstlerbuch gestaltet sich als dekorative Aufbewahrungsbox im Design der Hamilton Urns – eines der frühesten amerikanischen neoklassizistischen Tapetenmodelle –, in der sich ihre Ausstellung physisch und konzeptuell entfaltet. Die Schachtel beinhaltet zwei verschiedene Formen von Büchern: Ein konventionell gebundener Band stellt die Arbeiten der gleichnamigen Ausstellung vor und enthält einen Essay der Künstlerin. Daneben wird in vier Leporellos ihr neuestes Werk Toutes les filles (2016/17) insofern erkundet, als dass Reichek die 24 verwendeten Motive deren kunsthistorischen Quellen gegenüberstellt und so in direkte Kommunikation treten lässt.

Die handbedruckte Tapete mit dem Hamilton Urns-Muster avancierte in den letzten Jahren fast schon zum Markenzeichen von Reicheks Ausstellungen und findet sich auch als Wandhintergrund in der Ausstellung wieder. In dieser speziellen Farbgebung wurde sie eigens für die Ausstellung angefertigt.

 

 




Künstler*innen
Elaine Reichek

geboren 1943 in New York, lebt und arbeitet in New York.

Programmiert vom Vorstand der Secession

Kuratiert von
Bettina Spörr (Secession)

Vereinigung bildender Künstler*innen Wiener Secession
Friedrichstraße 12
1010 Wien
Tel. +43-1-587 53 07